Arschpfeiferlreiter
STICH-WORT
04/03/14 Wo kommt Barbie her? Aus asiatischen Billiglohnländern, so wie viel anderes Spielzeug. Auch in früheren Jahrhunderten war die Spielzeugherstellung eine Angelegenheit der wirtschaftlichen Underdogs. Eine solche Gegend liegt vor Salzburgs Haustür…
Die Geschichte Berchtesgadens und Halleins ist eng mit der Erzeugung von Holzspielzeug verbunden. Für die ländliche Bevölkerung, vor allem die Salinen- und Bergbauarbeiter, war die Erzeugung von Holzspielzeug ab dem Spätmittelalter zu einem wichtigen Nebenerwerb in den Wintermonaten geworden. Oft waren alle Familienmitglieder von jung bis alt in den Produktionsprozess mit eingebunden. Hergestellt wurden unter anderem Docken (Puppen), Schaukelreiter, Steckenpferde, Kutschen, Spieldosen, Grillenhäusl oder Hampelmänner und Rössl.
Das Holzspielzeug war sehr begehrt und wurde nicht nur von Berchtesgaden aus, sondern auch von Hallein aus verbreitet. So wurde 1772 in Hallein eine Handelsgesellschaft (Alois Oedl) gegründet, deren primäre Aufgabe es war, „Berchtesgadener War“ nach Wien und Ungarn sowie in die Donauländer bis hin in die heutige Türkei zu vertreiben.
Ein paar Jahrzehnte später wurde das Holzspielzeug nach Berchtesgadener Vorbild auch in Hallein erzeugt. Die Handelsgesellschaften, die sogenannten Verleger, gaben vor, wie viel und welche Art von Holzspielzeug erzeugt werden sollte. Die Waren wurden dann von den „Kraxnträgern“ (Wanderhändlern) oder zweirädrigen Karren in den Norden nach Nürnberg, Amsterdam oder Hamburg und mit Plätten über Salzach, Inn und Donau nach Wien und von dort weiter bis Ungarn und in die heutige Türkei transportiert. Das Holzspielzeug gelangte dann von Venedig, Antwerpen oder auch beispielsweise über Sevilla und Genua in die ganze Welt, sogar nach Asien und Amerika.
Wichtiger Umschlagplatz für die „Berchtesgadener War“ war auch die Salzburger Dult (von gotisch „dulths“ = Fest). Die Dult zog über die Jahrhunderte nicht nur eine große Anzahl an Besuchern an, sondern auch Verkäufer und Händler aus vielen Teilen Europas. Mit ihnen gelangte das regional produzierte Holzspielzeug auch in die ganze Welt.
Ein sehr beliebtes Holzspielzeug war der sogenannte „Arschpfeiferlreiter“. Der Schwanz des gut in der Hand liegenden Räderpferdchens ist eine Pfeife. Eigentlich schade, dass die Neukonzeption des Spielzeugmuseums dieses um sein Markenzeichen – das war eben der „Arschpfeiferlreiter“ – gebracht hat.
Leopold Mozart schreibt über seinen Enkel, den „Leopoldl“, der bei ihm die ersten Lebensjahre in Salzburg verbrachte, an dessen Mutter Nannerl im Jänner 1786 folgendes: „Der Leopoldl küsst euch entgegen, lacht und plaudert, und jauchzet oft. Seine Hofstadt hat sich vermehrt, die Mietzerl hat ihm ein Pferd und einen Reitter darauf gekauft, auch ein schönes rothes seidenes bandl daran gebunden, das Pferd hat ein Pfeifferl im Arsch.“ Übrigens, das Wort „Arsch“ bayrisch/österreichisch auch Orsch, Oasch genannt, ist eigentlich kein vulgäres Wort: Es geht auf das indogermanische Wort „orso, orsos“ zurück, was „Hinterer“ bedeutet.
Da die Familie Mozart gerne spielte und viele „Spielzeuge zum Tändeln“ (tändeln meinte am Ende des 18. Jahrhunderts spielen) besaß, kann davon ausgegangen werden, dass auch der kleine Wolferl ähnliche Holzspielsachen wie sein Neffe besaß.
Der ehemalige Mozarteums-Rektor Günther Bauer gibt in seinem Buch „Mozart, Glück Spiel und Leidenschaft“ einen Einblick ins Warenverzeichnis von 1791 für Berchtesgadener „Holzwaaren“: „Für kleine Mädchen: Wiegen mit und ohne Kindl. Und auch Fatschnkindl. Dazu: Gemahlte und ungemahlte Docken, für die kleinen Buben: „Pferdl, Thierl, Esel und Hirschl mit Räder und Pfeifel“ sowie auch Kegelspiele, Ratschen und Trommeln aber auch Murmeln (Pecker, Kugeln und Schusser), die ebenfalls im benachbarten Berchtesgadener Land, in der Kugelmühle der Almbachklamm hergestellt wurden.
Und es gibt noch einen weiteren sehr bekannten Zusammenhang zwischen Berchtesgadener Holzpielzeug und Musik: Die Kindersinfonie oder „Berchtoldsgaden-Musik“ wie sie im Original heißt. Die spezifische Besetzung der Kindersinfonie wird in einem zeitgenössischen Bericht aus der Zeit des 18. Jahrhunderts genauer erklärt: „Bei dieser Musik haben Violins, Bratschen und Kontrabass die Hauptstimme, die Nebenstimmen aber werden mit verschiedenen, in dem hiesigen Lande (von Berchtesgaden) verfertigten Pfeiferln, Ratschen, Trompeterln, Kuckucksmaschinen, alles auf Noten und Takt besetzt.“
Wer das Werk komponiert hat, darüber hat die Musikwissenschaft lange gestritten. Einmal wurde es Leopold Mozart oder dessen Schüler Johann Rainprechter zugeschrieben, aber auch Joseph Haydn oder dessen Bruder Michael. Aktueller Forschungsstand: Die Kindersinfonie wurde von dem Tiroler Komponisten Edmund Angerer (geboren 1740 in St. Johann in Tirol) komponiert.
Der Arschpfeiferlreiter und andere Handwerkserzeugnisse, von Spanschachteln bis Christbaumschmuck, werden nach wie vor in Berchtesgaden hergestellt. Die „Berchtesgadener Handwerkskunst“ ist eine Einrichtung des Landkreises Berchtesgadener Land und fördert die regionale Volkskunst. Sie ist Hauptabnehmer der nach wie vor vorwiegend im Nebenerwerb erzeugten Waren und berät die Hersteller auch in handwerklicher und künstlerischer Hinsicht. (LMZ)