Sprache der Vögel
STICH-WORT
05/04/19 So manches pfeifen ohnedies die Spatzen vom Dach – da braucht es keine ornithologisch-linguistischen Spezial-Kenntnisse. Anders im alten Rom: Da hat ein ganzer Berufszweig davon gelebt, aus dem Flug der Vögel Nutzbringendes für die Staatslenker herauszulesen.
Von Reinhard Kriechbaum
Dass ein Augur – so hießen die Vogelflug-Orakler in der Antike – lachen musste, wenn er einen anderen seines Standes sah, gehört zu den geflügelten Worte, die wir aus dem Lateinunterricht mitgenommen haben. Aber das war vielleicht auf dem Forum Romanum so. Wir stehen jetzt im Chiemseehof, also im Epizentrum der Landespolitik. Genauer gesagt im Chiemeehof-Hof, wo tagtäglich Politik und Öffentlichkeit aneinander und neuerdings an einem riesenhaften Kunstwerk vorbei gehen: Senatus populusque Salisburgensis sehen also auf einem Konglomeratblock einen Turm aus Büchern mit ausgreifende Adlerschwingen ganz oben. Beschäftigen sich Adler sonst eher mit der Nahrungsbeschaffung, nehmen also da und dort ein Häslein oder Zicklein mit sich in die Lüfte, so scheint dieser selbst zum gewichtigen Bücherturm gewordene Adler eher ein landesregierungsamtlicher Bote zu sein. Ein mächtiger Kollege jener, die sonst zu Empfängen Tramezzini und dergleichen zuliefern.
Ob bestellt oder unaufgefordert im Freiflug herbeigeflogen? Die Idee, den nun autofreien Chiemseehof-Hof mit fülliger Kunst zu füllen, hatte laut Landeskorrespondenz Landeshauptmann Haslauer. Verantwortlich zeichnet für das Kunstwerk von Anselm Kiefer die Salzburg Foundation, und entscheidend mitgezahlt hat der Schrauben-Industrielle und Kunstsammler Reinhold Würth, der für sein Engagement für die Salzburger Kultur nicht nur in dieser Sache das Ehrenzeichen des Landes überreicht bekommen hat.
„Dieses beeindruckende Werk mit seiner starken Symbolik, Intellektualität und Vielschichtigkeit schafft auch Querverbindungen zur Politik. Demokratie braucht Bildung und Bildung eröffnet andere Perspektiven und Weitsicht. In diesem Sinne möge diese Skulptur auch die Salzburger Landespolitik weiter ,beflügeln‘.“ So zitiert die Landeskorrespondenz Wilfried Haslauer.
Was nun wirklich in den Büchern steht? Wir wissen's nicht und AnselmKiefer hat es nicht mal dem lokalen Zeitungs-Großformat verraten. Da sind wir also wirklich auf bloße Vermutungen zurück geworfen. Nehmen wir mal an, die Bücher enthalten tatsächlich Geschriebenes, wie Kiefer versichert. Dann sind es wohl tiefe Gedanken, die sich unsere Bundesland-Lenker hinter die Ohren schreiben mögen. Eher unwahrscheinlich der gegenteilige Weg, dass Kiefer nämlich Sentenzen aus den Landesgesetzblättern hergenommen hat für seine geheimnisvollen Bronze-Bücher. Aber auszuschließen ist nichts. Künstler sind oft schelmisch.
Doch zur Beruhigung: Anselm Kiefer ist die Ernsthaftigkeit in Person. „Anselm Kiefer betreibt gedankliche Erforschungsprozesse. Sein Werk zeichnet sich aus durch eine Vielfalt an materieller und geistiger Substanz“, skizziert Walter Smerling, künstlerischer Leiter der Salzburg Foundation, das Besondere am Oeuvre des Künstlers.
Bleiben wir beim Greifbaren: Die Salzburg Foundation hat ihren Walk of Modern Art, den sie längst abgeschlossen hat (so wie auch die temporären Projekte auf dem Krauthügel im Nonntal), nun also um ein elftes Werk ergänzt. Es hat Gewicht, wiegt doch schon der Sockel sieben Tonnen. So etwas Schweres steht nicht lang gerade auf dem dort heiklen Untergrund aus Salzach-Schwemmmaterial. Also hat man vorausschauend eigens metallene Träger in den Untergrund eingebracht. Das verrät Josef Leitner vom Amtsraummanagement des Landes.
Amtsraummanagement. Jede Wette, dass dieses Wort in Kiefers verborgenen Texturen nicht vorkommt. Denn – frei nach der legendären ORF-Satire Der Watschenmann – eines ist gewiss: "Solchterne Dinge kann man nicht erfinden, nicht einmal in unserem Etablissement."
Anselm Kiefer gegenüber der Landeskorrespondenz über das Werk: „Ich denke vertikal. Ich sehe alle Schichten. Ich erzähle Geschichten, um zu zeigen, was hinter der Geschichte ist.“ Anselm Kiefer nähert sich mit der Skulptur Die Sprache der Vögel dem Alchimisten Fulcanelli, der in den 1920er Jahren in Frankreich gewirkt haben soll. Dieser erwähnt in seinen Schriften eine geheime Sprache der Vögel, die den Weg zur Enthüllung der letzten Wahrheit – der Erfahrung absoluter Erleuchtung – markiert. Im Fulcanelli-Traktat thront ein Rabe auf einem Totenschädel. Da ist die Mutation in Bücherturm und Adler schon entschieden positiver. Ein solcher Input ist sicher willkommen bei Länder-Lenkern im Europa der Regionen. Aus der Landeskorrespondenz: „Für Kiefer sind die Bücher ein Symbol des Wissens, der Überlieferung und der Weisheit. Diese kann man nicht vollständig erlangen, sondern sich ihr nur nähern.“ Oder vor der Mühsal des Bundesland-Regierens jeden Tag dran vorbeigehen. Schon das könnte helfen, denn steter Tropfen höhlt bekanntlich den Stein.