Haile Selassie auf die Rotznase!
DOMQUARTIER / DOMMUSEUM / MARCEL ODENBACH
22/07/16 Ist es eine Art Gotteslästerung, sich in ein Taschentuch zu schnäuzen, auf das ein Porträt des abessinischen Kaisers Haile Selassie gedruckt ist? Wahrscheinlich wäre das aus Gründen der Political correctness doppelt verwerflich.
Von Reinhard Kriechbaum
Erstens, weil man das Naseputzen in ein Porträt eines Indigenen sowieso missverstehen könnte. Zweitens deshalb, weil Haile Selassie als äthiopischer Kaiser – also eines Landes, das nie Kolonie irgendeiner europäischen Macht war – für das schwarze Selbstbewusstsein eine große Bedeutung hatte.
Sieben Taschentücher mit dem Konterfei des Haile Selassie in der Kunst- und Wunderkammer des Dommuseums: In einer solchen Kraut- und Rübensammlung (worin wir dezidiert den aufgeblasenen Kugelfisch, die Steinbockhorn-Schnitzobjekte und die roten Natternzungen einschließen), wie sie Potentaten der Renaissancezeit angelegt haben, sind eben (be)staunenswerte Dinge beisammen. Seit heute Freitag (22.7.) auch Dinge, die der Deutsche Marcel Odenbach in Afrika zusammengesammelt hat. Europas koloniales Erbe beschäftigt den Künstler seit vielen Jahren. Die Installation „Sprünge in der Wahrnehmung“ in der Kunst- und Wunderkammer nimmt Klischees, Vorurteile, Projektionen und Beeinflussungen im Hin und Her zwischen Afrika und Europa in den Blick. Kolonialismus, Missionierung – genug Ansatzpunkte, sich ideologiekritisch zu exponieren.
Die Objekte, teilweise „Mitbringsel“ aus Afrika, stammen aus Marcel Odenbachs privater Sammlung. Die Bronzefigur eines Schwarzen aus der Werkstätte Hagenauer in Wien führt das europäische Bild von Afrika in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor. Ein Blechteller mit dem Porträt Nelson Mandelas erinnert an das Ende der Apartheid in Südafrika. Zwei Schallplatten, „Hazy Shade of Criminal“ von Public Enemy und „Ain´t that a bitch” von Johnny Guitar Watson, leiten über zur afroamerikanischen Pop-Kultur der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, zu Funk, Rap, Sexualität und Politik.
Die Bezüge zum aktuellen Ausstellungsort sind greifbar. Denn die ehemalige fürsterzbischöfliche Kunst-und Wunderkammer enthält ja auch afrikanische Alltagsgeräte, die Missionare sowohl wegen ihres exotischen Charakters als auch wegen ihrer vermeintlichen technologischen Rückständigkeit gesammelt hatten.
Marcel Odenbach ist – wie die anderen Künstler, die einem der barocken Vitrinenschränke dort mit aktuellen Interventionen befüllten – Salzburg-Debütant. Er wurde in den 1970er Jahren als Vorreiter der Videokunst bekannt, später auch durch seine Collagen und Zeichnungen. Odenbachs Filme arbeiten ebenso wie die Collagen mit gefundenem und eigenem Material. Er wirft einen persönlichen und politischen, ironischen und kritischen Blick auf gesellschaftliche und zeitgeschichtliche Themen, auf die Rolle des Individuums und des Künstlers. So beschäftigte sich die Aktion „Das große Missverständnis“ (1978) mit der Gattung Performance und ihrem Publikum. Der Film „Niemand ist mehr dort, wo er hin wollte“ (1990) setzte sich mit den fremdenfeindlichen Ausschreitungen nach der deutschen Wiedervereinigung auseinander. 2010 wurde Marcel Odenbach als Professor an die Kunstakademie Düsseldorf berufen.
Bis 25. September in der Kunst- und Wunderkammer des Dommuseums im DomQuartier – www.domquartier.at; www.kirchen.net/dommuseum
Bilder: Dommuseum / DomQuartier / J.Kral