Kaktus auf der Flucht
MUSEUM DER MODERNE / POESIE DER VERÄNDERUNG
22/04/16 Unter dem weit gespannten Titel „Poesie der Veränderung“ zeigt das Museum der Moderne eine vielfältige Schau aus älteren und neueren Beständen. Sie setzt aufnahmebereite Besucherinnen und Besucher voraus, die auch gewillt sind, sich viel Zeit zu nehmen.
Von Werner Thuswaldner
In der Nordwestecke des Londoner Trafalgar Square steht ein Sockel, auf dem im 19. Jahrhundert ein Reiterstandbild hätte platziert werden sollen. Aus Geldmangel kam es nicht dazu. Seit etlichen Jahren wird nun der Sockel für die Präsentation von Kunst genutzt. Zurzeit ist dort ein bronzenes Pferdeskelett von dem deutschen Konzeptkünstler Hans Haacke zu sehen. Er will damit seinen Protest gegen die Vergötzung des Geldes in der Londoner City ausdrücken. Haacke ist ein Star in der Kunstsammlung der Generali Foundation. Mit ihr arbeitet er, der scharfe Kapitalismuskritiker, gern zusammen. Davon profitiert das Salzburger Museum der Moderne, das die Bestände der Sammlung als Dauerleihgabe beherbergt.
Schon auf der „documenta“ 1972 hat Haacke damit begonnen, das Publikum zu befragen. Das setzt er – inzwischen nicht mehr mit Stimmzetteln – immer noch fort. In der gerade eröffneten Ausstellung „Poesie der Veränderung“ im Museum der Moderne ist das Publikum eingeladen, seine Meinung zu verschiedenen Fragen auf iPads auszudrücken. Haacke präsentiert zudem einen „Eis-Tisch“. Dessen Platte besteht aus einer von einem Kühlaggregat produzierten Eisfläche. Deren Dicke nimmt je nach Besucherfrequenz im Raum entweder ab oder zu. Der Klimawandel wird so minutiös registriert.
Die Schau im Museum der Modere schöpft aus dem Fundus und lässt an Vielfalt nichts zu wünschen übrig. Viel Heterogenes lässt sich unter dem großzügigen Titel subsummieren. So etwa sind Fotos vom grimassierenden Arnulf Rainer zu sehen, der sich in den siebziger Jahren von den Skulpturen Franz Xaver Messerschmidts aus dem 18. Jahrhundert hatte anregen lassen.
Hans Hollein hatte in den sechziger Jahren ein transportables Büro konzipiert. Es besteht aus einer aufblasbaren Hülle, in der Platz für eine Arbeitsfläche, samt Schreibmaschine und Telefon. Ebenfalls aus den sechziger Jahren stammen die Fotos, die Günter Brus zeigen, wie er als von oben bis unten weiß bemalte Gestalt durch die Wiener Innenstadt geht – bald von einem Polizisten begleitet. Peter Weibel ließ sich von Valie Export kriechend an der Hundeleine durch die Stadt führen. Die Wiener staunten. Von heute aus gesehen, mag nichts Besonderes daran sein. Aber in dem verkrusteten und verstaubten Kulturklima von damals waren da gewagte Unternehmungen.
Die Schau erinnert auch an Gerhard Rühm, an die zahmen Experimente Oswald Oberhubers und an den fast vergessenen, vielseitigen Curt Stenvert.
Erstmals werden Arbeiten von der aus der Türkei stammenden Künstlerin Nilbar Güres gezeigt. Darunter die plastische Darstellung eines Kaktus, der aus dem Topf flieht. Ja, auch Humor findet sich in er Ausstellung. Großzügig vertreten ist Heimo Zobernig. Elke Krystufeks Bilder – Beiträge zum Feminismus – hängen frei im Raum, denn sie haben jeweils eine von Kindern gestaltete Rückseite. Markus Lüpertz ist auch da, und zwar mit großformatigen Bildern von 1981. Damals konnte er als solider, plakativ arbeitender Maler durchgehen.
Noch sehr viele Namen wären zu nennen. Das vielfältige Angebot ohne Leerläufe ist zweifellos gut gemeint. Es setzt Besucherinnen und Besucher voraus, die sich mindestens einen halben Tag Zeit nehmen.