Das Ich und das Selbst in Serie
MdM / RUPERTINUM / MENSCHENBILDER
05/04/19 Jede Zeit hat ihre Prioritäten. So ist gleich im ersten Raum der neuen Schau Menschenbilder im Rupertinum „Gender/Performance“ das Thema. Das mag gut und wichtig sein, aber die Kuratorinnen Christiane Kuhlmann und Andrea Lehner-Hagwood haben aus den Neuankäufen der Fotosammlung des Bundes auch vieles andere ausgewählt, das unter den Nägeln brennt.
Von Reinhard Kriechbaum
In den anderthalb Stockwerken, die diese Schau im Rupertinum einnimmt, sind die Beispiele zum Thema „Dokumentation/Reportage“ besonders aussagekräftig. Der in Schwarzach lebende Rudolf Zündel hat sich vor vier Jahrzehnten in einen Gastarbeiter-Reisebus in Richtung Istanbul gesetzt. Als Tschusch unter Türken heißt diese Fotoserie, übrigens der erste Sammlungsankauf überhaupt. Aus diesem Titel spricht nicht wenig Ironie. Mit 16./17.12.1977 und der Uhrzeit ist jede der Aufnahmen pingelig beschriftet. Damals war dieser Ausländer-Transit eine willkommene Sache, anfangs zumindest.
In Paul Kranzlers Serie Orte für Menschen sieht es ganz anders aus. Da waren 2016/17 plötzlich Flüchtlinge in Scharen im Land, und einige Architekten zerbrachen sich den Kopf darüber, wie nun Unterkünfte praktikabel auszustatten seien – als Orte für Menschen eben. Die aus Holz designte mobile Schlafkoje mit Tür zum Zumachen mag eine gewisse Intimität sichern...
„Reportage/Dokumentation“ ist also markant festgemacht an Menschenbewegungen. Eine solche fand ja auch nach dem Krieg statt. Die Kriegsheimkehrer, festgehalten von Ernst Haas, sind eine legendäre Serie. Ein famoses Bild und deshalb berühmt ist der Einbeinige auf Krücken, aus dessen Rucksack die Beinprothese herausragt. Wenn für die in Salzburg beheimatete Sammlung des Bundes Fotos angekauft werden, ist das also nicht zwingend eine andere Form von direkter Künstlerförderung. Es geht auch um die Geschichte der Fotokunst.
Deshalb ist beim Thema „Kindheit/Jugend“ nicht nur das von Belang, was Fotografinnen und Fotografen zu den heutigen Jugendwelten auf- und einfällt. Lothar Rübelt hat 1933 die Kamera nicht auf den Imster Schemenlauf gerichtet, sondern auf die jungen Zuschauer bei dieser Faschingsveranstaltung. In der Reihe der Kinder (wie waren die angezogen damals!) sitzt ein alter knorriger Pfeifenraucher.
Gut, dass der Begriff „Neuankäufe“ so streng nicht durchgehalten ist. Den Kuratorinnen waren Fotoserien ein Anliegen, was besonders beim Themenkreis „Individualität/Abbild“ greifbar wird, aber auch andere Kapitel der Schau mitbestimmt. Hans Schabus hat 1999/2000 ein Jahr lang alle Besucher porträtiert, die in seinem Atelier vorbei schauten. So also sehen diese Leute aus... ganz normal. Margharita Spiluttini hat für ihr aus 106 postkartengroßen, gerahmten Porträtfotos bestehendes Tableau „Die Firma“ alle Mitarbeiter der familieneigenen Baufirma vor die Kamera gebeten. Das Gesicht eines Unternehmens, von der Führungsetage abwärts.
Und die Individualität? Einen starken Charakter hat sich der Salzburger Michael Mauracher ausgesucht, einen Mann, den er seit 1981 porträtiert. Aus dem juvenilen Trachtler, den man in Volkskulturveranstaltungen treffen konnte, ist unterdessen ein kantiger alter Mann geworden, dem man Widerspruchsgeist ebenso zutraut wie Heimatverbundenheit. Das Schöne: Auch Dokumentarfotos lassen dem Betrachter nicht wenig Freiräume für eigene Interpretation.
In Wien lebt Sabine Jelinek, deren Selbstporträt „Gelbblutig“ das Plakatfoto zur Schau abgibt. Erst bei genauerem Hinschauen wird man gewahr, dass die Dame, deren Gesicht die Kamera halb abdeckt, aus der Nase blutet. Ist sie jemandem zu nahe gekommen bei ihrem dokumentarischen Tun?
Eine Salzburgerin ist Ulrike Lienbacher. Im Gender-Raum ist sie mit einer Serie vertreten, die einen Menschen zeigt, das Handtuch um den nackten Körper geschlungen, wie es Damen in der Halb-Öffentlichkeit nach dem Duschen machen. Dies hier scheint, der Achselbehaarung nach zu schließen aber ein Mann zu sein. Ein androgynes Setting also.
In der anregenden und reichhaltigen Schau finden sich übrigens bemerkenswert viele Salzburger Beiträge. Vielleicht gar ein absichtsvoller Hinweis – schließlich geht der politische Wille ja in Richtung Fotografiemuseum am Ort, und da schadet lokale/regionale Bindung keineswegs. Darüber, dass die regionale Szene vehement andere Bild-Kunst unserer Tage und entsprechende Salzburger Institutionen in ein solches Museum eingebunden wissen wollen, darf man durchaus nachdenken angesichts des Niveaus all der Fotos (minimal: Diaserien), die sich hier finden. Könnten jene, die sich ins künftige Fotomuseum hinein reklamieren, hinsichtlich der Qualität mithalten?