Vom Vogelmuseum zur Arier-Propagandaschau
HAUS DER NATUR / GESCHICHTE
09/04/14 Eine Kindheitserinnerung: die kleinen Räume im obersten Stockwerk des Hauses der Natur“. Da warnten Tafeln davor, mit Kindern hinein zu gehen und dicke Vorhänge schützten vor neugierigen Blicken. Und es war ja doch äußerst verlockend…
Von Reinhard Kriechbaum
Vielleicht wegen der Geheimnistuerei war es dort oben vielleicht noch attraktiver für die Halbwüchsigen als drunten in der Saurierhalle. Der Schreiber dieser Zeilen hat das jedenfalls so empfunden…
Salzburger mittleren und höheren Alters erinnern sich noch gut, was dort oben zu sehen war: Da befanden sich unter anderem gesunde und missgebildete menschliche Embryonen und Föten. Die Präparate dienten der Darstellung von Embryologie und Schwangerschaft sowie der Gefahren durch Umweltgifte, Alkoholmissbrauch und Schwangerschaftsabbruch. Auch während der späteren NS-Zeit wurden diese Präparate im selben Kontext in der Abteilung „Der Mensch“ gezeigt. Freilich: Keines der Präparate stammte aus der NS-Zeit. Sie wurden auch nie, wie manchmal vermutet, zur Darstellung NS-ideologischen Gedankengutes oder zur Rechtfertigung eugenischer Maßnahmen eingesetzt. Da geistern manche Legenden herum.
Im Jahr 1982 wurde die Abteilung gemeinsam mit Ärzten der Salzburger Landesklinik neu gestaltet und war nur mehr im Rahmen angemeldeter Führungen zugänglich. Auf Initiative des Salzburger Landtages setzte sich zwischen 2003 und 2004 eine Ethikkommission mit der Zukunft der Sammlung menschlicher Präparate auseinander. Entsprechend ihrer Empfehlungen wurde die Sammlung 2004 dem Pathologisch-anatomischen Bundesmuseum in Wien übergeben. Nun ist sie zumindest aus den Augen und damit aus dem Sinn.
Das Haus der Natur setzt sich in einer Sonderausstellung mit seiner Geschichte unter dem Gründer und ersten Direktor Eduard Paul Tratz auseinander. Da ist logischerweise dessen Engagement fürs SS-Ahnenerbe, dem er sein Museum bereitwilligst öffnete, ein wichtiges Thema. Noch nie hat das Haus der Natur seine eigene (dunkle) Geschichte so ausführlich dargestellt. Es ist ja noch gar nicht so lange her, da waren selbst die Informationstafeln bei den Tibet-Dioramen ein Zankapfel. Verghangenheit hat man hier allzu lange ziemlich gründlich verdrängt.
Doch zu Erfreulicherem: 1911 hatte alles begonnen, da entwickelte Eduard Paul Tratz die Idee, ein ornithologisches Institut zu errichten. 1913 begann er eine Vogelsammlung sowie eine Institutsbibliothek aufzubauen, der Erste Weltkrieg unterbrach jedoch seine ambitionierten Pläne. Im Jahr 1920, nach seinem Kriegseinsatz in Italien, übersiedelte er die bis dahin in seiner Privatwohnung untergebrachte „Ornithologische Station“ in das Monatsschlösschen nach Hellbrunn, wo sie als „Vogelmuseum“ öffentlich zugänglich wurde.
Die galoppierende Inflation bedeutete fast das Aus, aber Tratz war das, was man heute einen begnadeten Netzwerker nennen würde. Er machte mächtig Stimmung für ein Naturkundemuseum. Die Hofstallkaserne wurde dafür adaptiert, 1924 wurde das „Neue Museum für darstellende und angewandte Naturkunde“ eröffnet. Tratz’ Konzept knüpfte an die Museumsreform der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg an, die sich von England und Amerika auf den deutschsprachigen Raum ausgebreitet hatte. Damals entwickelten sich Museen zu Lernorten, reformierte Naturkundemuseen zeigten biologische Zusammenhänge in der Welt der Tiere, Pflanzen und der Erde.
Das „Museum für darstellende und angewandte Naturkunde“ ging noch einen Schritt weiter. Es stellte die Natur in Beziehung zur menschlichen Kultur, zu Technik, Wirtschaft und Kunst. Es war gesellschafts-und gegenwartsorientiert und wollte die breite Bevölkerung erreichen. Die Ausstellung wurde ständig erweitert und verändert, 1937 umfasste sie 23 Abteilungen auf einer Fläche von 3.000 m² und nannte sich erstmals „Haus der Natur“. – Genau diese Ausrichtung am Menschen sollte sich als fatal erweisen. Für die „SS-Ahnenforschung“ war ein solches Haus – und ein sich politisch so willfährig in den Dienst der bösen Sache stellende Direktor – Gold wert. Mehr davon in der Hintergrund-Geschichte Eduard Tratz und das „SS-Ahnenerbe“.
Ein hübsches Foto: Eine Fuhr mit TierpräparatenRichtung neuem Domizil, dem ehemaligen Ursulinenkloster: Als Mitte der fünfziger Jahre der Plan konkret wurde, die Hofstallungen ins Große Festspielhaus zu verwandeln, ging es dem „Haus der Natur“ (Tratz war längst entnazifiziert und seit 1949 wieder Leiter des Hauses) an den Kragen. 1956 wurde es geschlossen, zwei Jahre lang dauerte die Übersiedelung der Exponate. Der hoch aufgerichtete Bär auf dem alten Foto aus der Hofstallgasse hat gewiss Schaulustige angelockt.