Bild vom Bild der Wirklichkeit
FOTOHOF / FOTOMUSEUM WINTERTHUR
09/03/10 Die Schweiz ist neutral und wirklich in Österreich einmarschiert. Auch wenn Haarsträubendes auf Bundesebene das durchaus verständlich machen und zugleich die derzeitige Ausrichtung Salzburgs auf Winterthur erklären würde.
Von Heidemarie Klabacher
Eine junge Frau in gestärkter weißer Bluse oder Spitzenschürze über gepanzertem „Darunter“, dickrosa Lippenstift und toupiertem Blondhaar: die „Sechziger“ lassen grüßen.
Aber irgendwas stimmt nicht mit den Fotos von Aneta Grzeszykowska. Liegt es womöglich daran, dass man diese Bilder alle „seit jeher“ zu kennen glaubt - und gründlich verwirrt davon ist, sie als Arbeiten einer 1974 in Polen geborenen Künstlerin vorgesetzt zu bekommen? Tatsächlich hat Aneta Grzeszykowska nichts anderes getan, als einige der legendären „Untitled Film Stills“ von Cindy Sherman nachgestellt und nachfotografiert - mit sich selbst als Modell.
Die Künstlerin selbst legt genug Spuren, um sich auf die Spur kommen zu lassen: Sie hat sogar die Zählung Shermans beibehalten: Die - sagen wir einfach mal - Studentin in der weißen Bluse vor der Bücherwand (bei der Amerikanerin Untitled Film Still #13.1978) heißt bei der Polin ganz einfach „Untitled Film Stills, 2006 #13". Das Fenster, vor dem ihre Tänzerin in altmodischen Leggins nachdenklich kauert, gibt freilich den Blick in einen Warschauer Hinterhof frei… „Cindy Sherman hat in ihren Arbeiten Klischees aus dem Kino der Sechziger zitiert. Aneta Grzeszykowska zitiert also die Zitate“, sagt Thomas Seelig vom Fotomuseum Winterthur.
Das ist vielleicht das eingängigste und am einfachsten zu knackende Beispiel aus der Schau „Karaoke - Bildformen des Zitats“ mit dem das Fotomuseum Winterthur in der Galerie Fotohof gastiert.
Während einem auf dem Mönchsberg quasi beim ersten Blick in die Gemäldesammlung des Kunstmuseums Winterthur der Atem stockt, muss man in der Galerie Fotohof schon ein wenig genauer schauen. Auf gut 120 Quadratmetern wird hier vom Fotomuseum Winterthur eine Schau konzentriert, die sonst vierhundert Quadratmeter Ausstellungsraum beansprucht. Die beiden Institutionen seien übrigens voneinander unabhängig, wenn sie auch durch die Person des Sammlers Georg Reinhart freundschaftlich miteinander verbunden seien, erklärt der Kurator.
"Karaoke - Bildformen des Zitates" ist der Titel. Und „Karaoke“ (selber Schlager singen vor laufendem Tonband mit der Begleitung drauf; 1971 in Japan erfunden) spiele ebenfalls mit dem changierenden Verhältnis von Vorbild und Interpretation.
Lauter Japanerinnen und Japaner scheinen die gesamte Stirnseite im Fotohof einzunehmen, auch wenn Blumenkinder, ältliche Biker in Lederkluft, stolze Krieger mit Irokesenschnitt, oder ganz moderne Skinheads, Mods oder Punker zuhauf dabei sind - und man vor lauter Outfit, Schminke und Coiffüre das „Japanische“ oft kaum mehr erkennen kann: „Alles was es in Europa über die Jahrzehnte gegeben hat, gibt es in Tokyo gleichzeitig. Dass nichts davon seinen Ursprung in eigenen Wurzeln hat, liegt an der japanischen Geschichte. Die musste man sich nach Zusammenbruch des Kaiserreichs selber erfinden“, sagt Kurator Thomas Seelig zur Arbeit von Oliver Sieber.
Mit Elementen der Trashkunst spielt die Engländerin Clunie Reid in ihrer Arbeit „Take no photographs, leave only rippels“, die eine ganz Wand in der „Garage“ im Fotohof einnimmt: Auch sie zitiert Ikonen der Fotokunst, Comics oder gar das berühmte Urinal von Marcel Duchamp - indem sie mit einer billigen Digitalkamera fotografiert, ihre Arbeiten auf Silberfolie entwickelt und diese mit Klebstreifen an die Wand klebt. Womit sie - naturgemäß - beim Abnehmen von der Wand - zerreißen. „Wie kann man das sammeln? Kann man das überhaupt sammeln“, ist die Frage, die dann den Kurator quält. Der Betrachter hat es leichter, und freut sich über die unverschämt anschauliche und freche „anti-künstlerische Haltung“, die da vermittelt wird. Kunst, die sich gleichzeitig vordergründig ernst und gehörig auf die Schaufel nimmt.