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Das vierzigste Jahr

KUNSTVEREIN / ANNA JERMOLAEWA

09/02/12 Sechs Jugendliche, ein Bursche und sechs Mädchen blicken ernst und skeptisch - in die Kamera wie in die Zukunft. Damals waren sie Sechzehn und besuchten eine Elite-Kunstschule in St. Petersburg. Heute sind sie Vierzig und in alle Welt zerstreut. Eine von ihnen ist Anna Jermolaewa, die für ein Videokunst-Projekt ihre ehemaligen Schulkolleginnen gesucht hat.

Von Heidemarie Klabacher

altAnna Jermolaewa, deren Putzfrauen-Ausstellung gerade in Wien Furore macht, ist mit einer ebenso spannenden Videoarbeit im Salzburger Kunstverein vertreten. Wenn auch biographisches Arbeiten nicht ihr Schwerpunkt ist, lässt sich im Fall der Installation „Das vierzigste Jahr“ Künstlerisches und Biographisches nicht trennen.

Über das alte Foto, den Ausgangspunkt der siebenteiligen Videoinstallation, sei sie im Internet gestolpert. Sie selber besitze keine solchen Erinnerungsstücke: „Ich habe nicht einmal ein Maturafoto.“ Bei ihrer Emigration 1989 aus Russland sei ein kleiner Rucksack ihr  ganzes Gepäck gewesen. Seit der Matura also hatte Anna  Jermolaewa ihre Mitschülerinnen nicht mehr gesehen. 2011 sind sie alle Vierzig geworden. Jermolaewa machte sich auf die Suche.

altVier der sechs Schulkolleginnen sind ausgewandert oder - wie Anna Jermolaewa die als Jugendliche politisch aktiv  war und verfolgt wurde – geflohen. „Das ist ganz typisch für die Menschen meiner Generation und der Generation davor. Junge Leute mit einer Ausbildung sind ausgewandert“, erzählte Anna  Jermolaewa heute Mittwoch (9.2.) bei der Pressepräsentation im Kunstverein. Sie selber habe keinen einzigen Verwandten mehr in Russland. „In allen Küchen sprach man davon: Wartest Du auf die Auswanderung nach Israel oder nach Kanada… Es hat da verschiedene Schienen gegeben.“

Sie selber sei mit Achtzehn in den Westen geflohen, habe in Wien am Westbahnhof eine Woche lang auf einer Bank gewohnt, wollte weiter nach Paris, sei an der Grenze abgefangen und nach Traiskirchen gebracht worden. Später habe sie in der Medienklasse der Wiener Kunstakademie studiert. In ihrer Heimat ist die Künstlerin heute in namhaften Galerien, etwa der XL Galerie in Moskau, präsent. Zurück wolle sie nicht, eine Professur würde sie nie anstreben - und als ehemalige Regimekritikerin auch nie bekommen. Die hoch elitäre Kunstschule, die sie besucht hat, gibt es übrigens noch heute: „Die unterrichten noch heute Handwerk streng nach den Idealen des realen Sozialismus. Wer damals in der Schule den Pinselstrich gelockert hat, ist geflogen.“ Auch an der Kunstakademie sei die Situation ähnlich: Jüngst habe ihr jemand „Neuigkeiten“ aus der Kunstakademie in St. Petersburg hinterbracht, es gebe jetzt dort einen Kurs für Ikonenmalerei… Sie habe damals keine künstlerische Perspektive für sich gesehen und befürchtet, „Porträtmalerin“ werden zu müssen. Die erlernten Techniken und Fertigkeiten wende sie in ihrer heutigen Arbeit „sehr selten“ an.

altIhr Herz blute, wenn sie in ihre Heimat blicke, sagt Jermolaewa. Als es zu den ersten großen Anti-Putin-Demos gekommen ist, war sie glücklich darüber, „dass die Leute endlich auf die Straße gehen.“ Erst jüngst habe sie mit einer Sonderedition eigener Arbeit Geld aufgetrieben, dass den Herausgebern einer „Putin kritischen“ Boschüre überwiesen habe. Selber wieder aktiv politisch tätig werden? Daran denke sie eher nicht. Ein Künstlerkollege, der den Weg zurück in die Politik genommen haben, habe ihr erzählt, so Jermolaewa, als „Künstler und Hofnarr“ hätte er mehr direkte Handlungsfreiheit gehabt.

Was ist nun im Kunstverein zu sehen? Es sind Videos von Gesprächen mit den erwachsenen Frauen, als die sie ihre Schulkolleginnen nach 23 Jahren wieder gesehen hat. Der Bursche von damals, heute Porträt- und professioneller Straßenmaler in Kanada tätig, wollte sich nicht befragen lassen. Er hat dafür Porträts der Frauen nach Bildern von den Videos beigesteuert. In den dreißig bis vierzig minütigen Videos reden die Frauen über ihr Leben, über Pläne und Hoffnungen, die sich erfüllt haben oder nicht. Wenn man die ganzen Videos anschaut, erschließen sich die Beziehungen zwischen den Frauen und der Interviewerin, wenn man nur Teile ansehe, ergebe sich eine Collage. Ein Video zeige St. Petersburg, wie sie es bei ihrem letzten Besuch vorgefunden habe, samt Anti-Putin-Demo, erklärt Anna Jermolaewa. Eine Frau lebt in Boston, eine in Honkong, mit dieser habe sie die Gespräche auf einer luxuriösen Flusskreuzfahrt geführt. Eine der in St. Petersburg verbliebenen habe dagegen heute nichts, außer ihrem Hund. Die andere konnte sich nicht vorstellen, irgendwo zu leben, wo es keine Eremitage gibt...

Bilder: Kunstverein (1); dpk-klaba

 

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