Vom Ende der Welt
GALERIE EBORAN / REISEN INS NIEMANDSLAND
17/05/11 Sie sind ein erprobtes Reise-Duo, der Schriftsteller Karl Markus Gauß und der Fotograf Kurt Kaindl. Öfters haben sie europäischen Randgruppen nachgespürt, literarische und fotografische Momentaufnahmen gemacht von Minderheiten, deren Kultur und Sprache vom Aussterben bedroht sind.
Von Reinhard Kriechbaum
Eine Reihe von Büchern sind auf diese Weise entstanden, feuilletonistische Werke von Gauß, die Kurt Kaindl bebildert hat, aber auch Fotobände, zu denen der Schriftsteller journalistische Apercus geliefert hat. "Reisen im Niemandsland", vor zwei Jahren im Verlag Galerie Fotohof/Otto Müller erschienen, ist eine dieser Dokumentationen.
Wie sieht das "Niemandlsland" heute aus, das sich einst entlang des Eisernen Vorhangs von der Ostsee bis an die Adria hinzog? Kurt Kaindl hat also die über Jahrzehnte so gut wie unüberwindliche Grenze zwischen Kapitalismus und realem Sozialismus abgesucht mit der Schwarzweiß-Kamera: Aus beiden politischen Perspektiven war die Linie zwischen der Halbinsel Priwall bei Travemünde bis nach Görz/Gorizia und noch ein kleines Stück weiter ins Bergland hinter Triest so etwas wie das Ende der Welt. Allzu nahe dran siedelte niemand freiwillig.
Nun zeigt die Galerie Eboran 27 Aufnahmen Kaindls. Dürftig wirkt manches nach wie vor. Und Hand aufs Herz: So sehr nach ehemaligem Ostblock wie im Marchfeld sieht es in Österreich nach wie vor nirgendwo aus. Menschen kommen ins Bild, Gastwirte und junge Leute (sie wirken natürlich "mitteleuropäisch", weil sich die Jugend in ihren Outfits modernistisch-international orientiert).
Da und dort sind ein Stück Drahtverhau, ein paar Meter Mauer erhalten geblieben und sorgsam restauriert worden - Mahn- und Gedenkmale von im Wortsinn einschneidenden politischen Maßnahmen. Das hat nach zwanzig Jahren, mit ordentlich drapierten Panzersperren, schon Museumswert. "Nie wieder christliche Union" haben heutige Schmierfinke auf die Blechtür eines ehemaligen Grenzwachturms nahe der Ostseeküste geschmiert. Ein Künstler hat eine durchlöcherte Blechplatte, Relikt der Schießübungen von Grenzsoldaten, gesichert und macht was draus, was unser Gedächtnis wach halten soll. In Görz sind Jogger unterwegs, und sie denken wahrscheinlich mehr ans Kalorien-Abbauen als daran, dass der Ort mit den drei Namen Görz, Gorizia und Nova Goricia für ein logisches Miteinander unterschiedlicher Ethnien steht. Österreicher und Slowenen verbindet auf dem Mur-Wasserweg der Fährmann Ploj Vinko. Letztlich sind es ja die Menschen, die Grenzenobsolet werden lassen. Und das ist bei aller Schwarzweiß-Tristesse eine zaghaft-positive Botschaft.