… auf der Erde, ohne Sarg...
KUNSTRAUM ST VIRGIL / ESTHER STRAUSS
15/01/19 Nein, es ist nicht Dracula oder sonst ein Vampir weiblich. Es ist die Performerin Esther Strauß. „Ich besuche das Grab meines Großvaters in meinem Heimatdorf und hebe es mit den Händen aus. Ich bringe die Erde in ein Zimmer und lege meine Kleider ab. Dann wasche ich mich mit der Erde, die Großvaters Zuhause ist.“ Gar nicht schrill, sondern sehr subtil stellt sie die Frage nach dem Verbleib der Toten.
Von Heidemarie Klabacher
2015 schläft und träumt Strauß auf Anna Freuds psychoanalytischer Couch im Sigmund Freud Museum London. Ebenfalls 2015 hob die Performance-Künstlerin das Grab ihres Großvaters mit den Händen aus. Dieser Akt wurde zum Ausgangspunkt einer Serie von Performances, die vom Tod erzählen. In der Ausstellung Der letzte Raum im Bildungshaus St. Virgil befragt – oder hinterfragt? – Esther Strauß zugleich die Performance als säkularisiertes Ritual: „Wie lässt sich die ephemere Natur der Performance-Kunst nutzen, um die Vergänglichkeit zu studieren?“
Von einer „echten“ Performance – einer, die nicht von vorne herein auf Wiederholung, Aufführungsserie und internationales Gastspiel hin angelegt ist – bleiben bestenfalls Dokumentationsfotos. was ist das Leben schon viel anderes, als eine Performcane: „Wo sind unsere Toten? Wie setzen wir uns mit ihnen in Verbindung? Wie schützen wir die Erinnerung vor dem Vergessen?“
Weitsichtig, auch Zusammenhang mit Vergänglichkeit, klingt ein Statement der Künstlerin: „Kein Roman beschreibt seine Held_Innen von Kopf bis Fuß. Wir sehen sie trotzdem. Das ist es, was mich interessiert: Die Enttäuschung, die wir gelegentlich empfinden, wenn wir ein Buch, das wir mögen, als Film im Kino sehen und die Dunkelkammer mit dem Gefühl verlassen, dass uns etwas geraubt wurde. Das, über dessen Verschwinden wir enttäuscht sind, versuche ich herzustellen.“
Kaum „ephemerer“, als sich mit Erde vom Grab des Großvaters zu reinigen, ist der Gedanke, Tränen in Bücher zu fassen: „2012 zeichne ich alle Tränen eines Jahres auf. Vom 1. Jänner bis zum 31. Dezember trage ich eine Mappe mit A4 Blättern mit mir herum, um – sollte ich weinen – meine Tränen am Papier zu trocknen. Die Blätter bergen sanfte, fasst unsichtbare Spuren. Im Ausstellungsraum verhalten sich die Blätter schweigsam und verraten nur das genaue Datum der Tränen, nicht aber ihren Anlass“, schreibt Esther Strauß. Zum Entstehungs-Ort und -Zeit der Serie gibt sie an „überall, 2012“.
Esther Strauß, Jahrgang 1986, ist eine Performance- und Sprachkünstlerin. „Ihre Arbeit widmet sich den Möglichkeiten des poetischen Handelns im öffentlichen und privaten Raum“, heißt es zur Ausstellung im Kunstraum St. Virgil. In ihren Performances und Texten setze Strauß gezielt Lücken und Geheimnisse ein: „Das, was ihre Performances verbergen, ist ebenso wichtig, wie das, was sie preisgeben.“ Von 2005 bis 2011 studierte Strauß an den Kunstuniversitäten Linz und Bristol. Sie erhielt zahlreiche Preise, wie zuletzt den Förderpreis für zeitgenössische Kunst Land Tirol 2018, und blickt auf eine rege internationale Ausstellungstätigkeit.
Apropos Tirol: „Ich richte an einem geheimen Ort in Tirol einen Unterschlupf ein. Wer das Versteck findet, ist eingeladen, sich in ihm zu verbergen. Zur gleichen Zeit wird eine genaue Kopie des Verstecks im öffentlichen Raum Innsbrucks ausgestellt. Die Besucher_Innen der Innenstadt können die Kopie des Verstecks öffnen und sich probeweise in ihr verbergen“: So beschreibt die Künstlerin 2017 ihre Arbeit Das Versteck, eine kleine, beinah ironisch wirkende weltraumkapsel-artige Angelegenheit.
Öffentlich jedenfalls lehrt sie seit 2015 lehrt an der Kunstuniversität Linz mit dem Schwerpunkt art writing. „Strauß verlegt ihr Atelier in den Wald, erzählt mit Mut zur Lücke, ist dem leichtherzigen Experiment auf der Spur. Die Künstlerin lebt, atmet und arbeitet in Wien, London, Kolkata, Innsbruck, im Gehen.“