Die Stimme der kleinen Leute
SALZBURGER STRASSENTHEATER / BEZAHLT WIRD NICHT
22/07/16 Mit den Freuden und Widrigkeiten, die das Salzburger Straßentheater bereithält, ist Georg Clementi, der neue Leiter, bereits bestens vertraut. Fast nahtlos setzt er mit dem Stück „Bezahlt wird nicht“ von Dario Fo die Tradition fort.
Von Werner Thuswaldner
Zu den Freuden zähle, wie er im Programmheft schreibt, vor allem der lebendige Kontakt zum Publikum, das sich mit spontanen Reaktionen nicht zurückhält. Clementi kennt aber auch zur Genüge alle Beeinträchtigungen, die einer Aufführung blühen können; den Regen, die Hitze, den Krach, den ein Flugzeug verursacht, Hundegebell und Kinderplärren. Dies alles trägt bei zum besonderen Aroma des Straßentheaters.
Georg Clementi hat die Leitung von Klaus Gmeiner übernommen, der das Straßentheater mit 31 Inszenierungen nachhaltig geprägt hat. Und nun findet ein Bruch mit dieser Tradition statt? Keineswegs. Ja, es gibt Neuerungen, aber keine revolutionären. Der Theaterwagen ist geblieben, wenn ihn auch Bühnenbildner Andreas Lungenschmid nicht wie gewohnt als Thespiskarren, sondern wie ein modernes Designobjekt gestaltet hat. Geblieben ist aber vor allem die unbändige Lust eines Ensembles, die durchaus ernsten Dinge des Lebens mit viel deftigem Witz unter freiem Himmel abzuhandeln.
Der Auftakt ist rasant. Zwei Autos der Marke FIAT Cinquecento mit Sonderbemalung flitzen herbei, die Spieler springen heraus, und es kann losgehen. Das Publikum soll im Sturm erobert werden. Einerseits. Andrerseits lässt man sich reichlich Zeit, den Theaterwagen flott zu machen, während man auf sehr witzige Art mit den Zuschauerinnen und Zuschauern anbändelt. Ein Sänger und eine Sängerin stimmen die „Internationale“ an und signalisieren damit, dass Revolutionäres, Umstürzlerisches auf dem Programm steht. Sie singen auch die Hymne des Widerstands, das Lied „Bella ciao“, sogar eine Version auf Türkisch, weil sie meinen, dass die Türken besonderen Bedarf hätten.
Das Stück „Bezahlt wird nicht“ von dem inzwischen neunzigjährigen Italiener Dario Fo kommt vielleicht nicht mehr so rigoros daher, wie zur Zeit seiner Entstehung vor vierzig Jahren, aber man staunt nicht schlecht, wie prägnant es soziale Verhältnisse von heute beschreibt: Arbeiterfamilien, die in die Unterschicht abzugleiten drohen, weil das Geld vorne und hinten nicht reicht, und vom zunehmenden Auseinanderklaffen von Arm und Reich ist auch und gerade in den angeblich wohlhabenden Ländern die Rede. In einer Zeit, da die Medien von Berichten von überkandidelten Menuzubereitungen überquellen, ernähren sich Menschen von Hunde- und Katzennahrung.
Dario Fo – seit den neunziger Jahren Nobelpreisträger – forderte mit seinem Stück auf, Widerstand zu leisten. Die Haufrauen stürmen den Supermarkt. Ein Polizist hat Verständnis, ein Carabinieri dagegen vertritt eifrig die Ordnungsmacht und wird prompt zur lächerlichen Figur. Er kollabiert und soll ausgerechnet mit einem Schweißbrenner wiederbelebt werden. Die großen Heldinnen sind die Frauen, die ihre ein wenig tölpelhaften Männer mit Scheinschwangerschaften düpieren.
Clementi setzt auf Turbulenz und garniert den Ablauf mit einer Fülle von Pointen. Dazu gehören etwa ein überaus origineller Rettungswagen und die virtuose Art der Frauen, die gestohlenen Sachen aus dem Supermarkt zu verstecken. Die ganze Palette vom trivialen Spaß bis zum hinterhältigen Witz wird durchgekostet. Vom Ensemble sind Temperament und enormes Sprechtempo verlangt. Darauf sind Anja Clementi und Petra Rohregger in den Rollen der hyperaktiven Frauen geeicht. Die Männer, Géza Terner und Michael Kuglitsch, dürfen ein bisschen moderater agieren und müssen dafür sorgen, dass die Frauen umso brillanter erscheinen. Detlef Trippel beweist seine Wandlungsfähigkeit in mehreren Rollen.
Das Straßentheater gibt mit der neuen Produktion das Versprechen ab, auch in den kommenden Jahren ein hochgeschätzter Lichtblick des Kultursommers zu bleiben.