Gedanken entdecken Wüsten
ARGE KULTUR / EIN KIND UNSERER ZEIT
10/05/16 „Ich...“, schreit er hinaus und lässt keinen Zweifel daran, dass wir es mit einem Egomanen zu tun haben, „... bin … Soldat!“ Er sei es gerne, immer wieder freue er sich, „in Reih und Glied zu stehen“. Ödön von Horvath ließ „Ein Kind unserer Zeit“ zu Wort kommen und Max Pfnür spielt eine Dramatisierung des Romans in der ARGEkultur.
Von Reinhard Kriechbaum
In ein paar Sätzen ist das Drama um diesen Menschen heraus geschält: Nicht die Spur einer Perspektive hat er gehabt, ohne Arbeit und weitgehend auf sich gestellt. Er hat verinnerlicht, niemanden zu lieben, „nicht mal mich selbst“. Jetzt fühlt er sich endlich eingebunden, aufgehoben, wertgeschätzt vom Hauptmann, einer Vaterfigur, die nicht hinkt und als Kellner dienert, wie sein eigener Vater. „Man soll nicht denken, sondern handeln“, sagt er seiner selbst und der Sache gewiss.
Wenn dieser Hauptmann nicht mehr sein wird, dann wird dieses „Kind“ wieder ganz in seiner Zeit – wie sehr ähnelt sie doch „unserer Zeit“! – gelandet sein, materiell und körperlich ruiniert. Aber er wird sagen können: „Ich hab keine Angst mehr vor dem Denken, seit mir nicht anderes übrigbleibt. Und ich freu mich über meine Gedanken, selbst wenn sie Wüsten entdecken.“
Max Pfnür ist der Soldat und gleich die ganze Armee. Dazu tragen das Mikrophon bei und die Loops. Da werden aus einer Stimme viele und es werden aus menschlichen Lauten Geräusche. Gewehrsalven kann man nicht nur hören, Max Pfnür imaginiert das Schießen auch, wenn er die Mikrophonstange angreift. Das ist der Effekt-Anteil an einer Textinterpretation, die aber ebenso auf leise Innenschau setzt.
Imaginationskraft hat diese Aufführung, die ohne Anflug von Länge über hundert Minuten trägt, obwohl sie mit einem Nichts an Dekoration (zwei schrägen Podesten) auskommt. Regisseur Georg Büttel und der Schauspieler Max Pfnür haben eine Dramatisierung zuwege gebracht, die man nicht anders als einen großen Wurf nennen kann.
Da sitzt einer fragwürdigen Werten auf, weil rundum keine Werte auszunehmen sind. Rasend schnell ist er Teil eines mörderischen Systems, das im Moment schlüssig scheint, aber eben so schnell aus den Angeln gehoben wird in dem Augenblick, da der „Hauptmann“ nicht mehr ist: „Ein Kind unserer Zeit“ ist ein Lehrstück gegen die Stimmungslage pro Rechts. Ödön von Horvath – ein „glänzender Desillusionist“, wie Alfred Polgar schrieb – hat den posthum veröffentlichten Roman 1937 geschrieben. Da war in Deutschland der Zug schon abgefahren...
Schade, dass diese Aufführung nur ein paar Mal und nur im Kleinen Studio der ARGEkultur stattfindet. Ein großer Vorteil aber auch, nah dran zu sein an Max Pfnür, sich involvieren zu lassen von dieser dichten, sprachlich und in den Gesten präzisen, in ihrer Hintergründigkeit schneidenden Interpretation. Das scheinbar Geradlinige des Soldat-werdens wird genau so fassbar wie der schmerzhafte Reifeprozess. Es sei, „als würd man das Vaterland nicht mehr fressen wollen, wenn ein Weib für einen kocht“, sagt er in einem Moment, da unversehens ein ganz kleiner Bindfaden zu einem anderen Menschen entsteht. Dieser Faden reißt natürlich sofort, und eine Winterreise ist angesagt. So ist das bei Horváth.