Lachtherapie mit Suchtpotential
KABARETT / MOTZART-WOCHE / ANNAMATEUR
02/02/10 Das Leben mit Menschen – vor allem mit Männern - ist oft schwierig und bedarf gelegentlich therapeutischen Eingreifens: Annamateur und die Außensaiter entwickeln ihr Programm „Bandaufstellung nach B.Hellinger“ zwischen Schonungslosigkeit, Tabubrüchen und Wiedererkennungswert.Von Christiane Keckeis
Die alleinerziehende Mutter, der egoistische Kindsvater, der seitenspringende Lover, das hoffnungslos verliebte Dummchen, der verklemmte Mediziner, der sich an Telefonsex aufgeilt – sie alle werden seziert, analysiert, aufgestellt, schonungslos bis an die Schmerzgrenze.
Der dritte Abend des Motzart-Kabarett Festivals offenbarte mit „Bandaufstellung nach B.Hellinger“ durch Annamateur und die Außensaiter in der ARGE (1.2.) ein Programm mit einer angemessenen therapeutischen Breite, nebenwirkungsarm abgesehen von Lachfalten und Zwerchfellmuskelkater.
„Ich sehe Dich woanders…“ – Das abgeklärte Psychologenvokabular in säuselndem Tonfall hat die vielfach prämierte Kabarettistin Annamateur ebenso drauf wie ein schrilles „O Gooottt, wie geil isn das?“ Wandlungsfähig schlüpft sie in jede Rolle und das bis zur Selbstentblößung, spitz, berührend, verletzt, verletzend.
Annamateur ist eine Meisterin der Dosierung, dramaturgisch klug und risikofreudig spielt sie mit Tempo, Dynamik und Erwartungen, immer wieder platziert sie AhA-Effekte, Nadelstiche in Nebensätzen – und hat das Publikum schnell so weit, dass es ihr liebend gern aus der Hand frisst. Die Frau ist einfach gut, keine Frage.
Nach der Pause tritt sie verheult auf die Bühne in einem berückender Monolog des Trennungsschmerzes, intelligent verwobene Zitate von Goethe bis Biene Maja rezitiert sie burgtheater-like und so ernsthaft intensiv, dass das Lachen gelegentlich dem angerührten Staunen weicht.
Das alles auf der Basis erstklassiger Musik: Jazz, Blues, Chanson, Tango, Klezmer – Annamateur, ausgebildete Jazzsängerin, singt, was die Stimme hergibt. Und die gibt was her: alle Stimmungsfacetten trifft sie auf den Punkt – Farben, Timbres, Stile – da ist nichts beliebig. Kongeniale Instrumentalisten, Stephan Braun am Cello und Samuel Halscheidt an der Gitarre, sind ihr Stütze, Ergänzung und Spielpartner.
Einmal, therapiegemäß, im Liegen spielen: So akrobatisch das wirkt, es ist gar kein Problem. Und wird, wie der ganze Abend, in der ausverkauften ARGE, jubelnd beklatscht.
„Wir sind geheilt! Schreiben Sie das!“, ruft Tausendsassa Annamateur am Schluss der brav notierenden Kritikerin zu. „Wir sind infiziert und akut suchtgefährdet!“, möchte man zurückrufen, aber da ist sie schon wieder von der Bühne gewieselt, schrill, schräg, sinnlich.