Mich faszinieren Schnecken
TOIHAUS / FÜNF FRAUEN, EIN KLAVIER
11/11/13 Ein Lokal betreten, so ganz allein - das kann Unbehagen bereiten. Nicht immer geht dabei so viel schief, wie im Falle der vier Damen, die in der jüngsten Produktion im Toihaus über Stiege und Stuhl ebenso stolpern, wie über die Hindernisse, die die eigene hinterhältige Seele aufstellt.
Von Heidemarie Klabacher
Vier Damen im Café. Dass sie überhaupt miteinander ins Gespräch gekommen sind, verdanken sie der jungen Türkin – einer Touristin, einer Studentin vielleicht - die Sprachbarrieren überwindet, indem sie sie einfach nicht zur Kenntnis nimmt und drauflos quasselt: eine hinreißende Performance von Ceren Oran, die vom ersten Auftritt an für sich und die gesamte Produktion einnimmt.
„Fünf Frauen, ein Klavier“ ist eine charmante humorvolle Theaterarbeit von Myrto Dimitriadou, die im richtigen Tempo daherkommt und en passent – im Vorüberstoplern quasi – die seltsamsten Abgründe sich auftun lässt.
Man plaudert, interpunktiert von begeisterten Ausbrüchen auf Türkisch, rührt in Tassen, kramt in Handtaschen. „Als Kindern hat uns unsere Mutter immer Kleinhirn serviert.“ Was um alles in der Welt, geht in einer Dame vor, die traumverloren in aller Öffentlichkeit eine derartige Erinnerung preisgibt. Ist das überhaupt eine Erinnerung? Ist es nicht eher der Angstraum einer gequälten Seele, der sich am helllichten Tag Bahn bricht? Wie die Geschichte vom Tintentisch, den das Stubenmädchen in der Hotelbadewanne gefunden und mit dem Besenstiel erstochen hat. Kein Wunder, dass das Mädchen damals den toten Tintenfisch seziert hat, um dieses Trauma zu verarbeiten. Seziert hat sie, auf Anweisung der Frau Mama, einer Chirurgin, auch Föten von Fehlgeburten oder die Leiche eines gleichaltrigen Burschen. Kein Wunder, dass zusammen mit Tischen, Tassen und der Welt drum herum den Damen manchmal der Kopf dröhnt. Oder sind es doch nur Baumaschinen, draußen vor der Tür?
Jedenfalls bleibt immer wieder mal die Zeit stehen und eine der Damen verliert sich – vielleicht auf dem Weg zur Toilette – in den Abgründen ihres Inneren. „Davor war mein Leben soooo“, ruft die eine begeistert aus und streckt beide Arme kraftvoll triumphierend hoch in die Luft. „Davor“ war sie anders, „davor“ konnte sie gehen, auf einen Stuhl steigen. Jetzt geht sie „nur mehr von dort nach da, und das war’s“.
Das wäre allen, die keine Therapeuten sind, und sich um so was von Berufs wegen kümmern müssen, also den meisten, ziemlich egal. Doch die Soli der vier Performerinnen – Susanne Lipinski, Katharina Schrott, Ceren Oran und Pascale Staudenbauer – sind nicht nur schräge Geschichten, wie sie die Patienten des Neurologen, Autors und Therapeuten Oliver Sacks in dessen Büchern erzählen.
Aus der Bemerkung „Manchmal könnte ich die ganze Welt umarmen“ entwickelt sich eine geradezu circensische Befreiungsszene aus eben dieser Umarmung. Tatsächlich ist der tänzerisch-akrobatische Anteil an „Fünf Frauen, ein Klavier“ ebenso reizvoll wie der schauspielerisch-textliche. Die Selbstbespiegelungen, ob getanzt oder gesprochen, kommen flott und unwehleidig daher. Ängste und Nöte werden greifbar, ja anschaulich – aber zugleich mit jener Ironie gebrochen, die wohltuende Distanz herstellt. Der an sich heikle Umgang mit psychischer Befindlichkeit auf der Bühne gelingt ohne Peinlichkeit.
Zu einem Gutteil ist das der fünften Dame zu verdanken: der Pianistin Yoko Yagihara. Sie sorgt im Kaffeehaus für die Live-Musik und für die massive Irritation der weiblichen Gäste (Männer kommen überhaupt nicht vor, außer vielleicht dass sie die immer lauter dröhnenden Baumaschinen und Maschinengewehre „draußen“ bedienen). Diese Pianistin ist eine grandiose Soziopathin, die alle Versuche, sie ins Gespräch zu ziehen, auf einen Kaffee einzuladen oder gar von den Tasten wegzulocken verstört reagiert.
Der Komponist Hüseyin Evirgen hat gemeinsam mit Yoko Yagihara die klangsinnliche und rhythmisch pointierte Musik zu „Fünf Frauen, ein Klavier“ geschrieben. Von Yoko Yagihara stammen die Ideen zum präparierten Klavier und seinen Klangbildern.
Kaffee trinken? Da reißt sie sich lieber ein Stück Stoff vom Leibe oder die Kette vom Hals – um sie in die Klaviermechanik zu hängen. Hängt man ein Ketterl vor die Klavierhämmerchen, scheppert es. Für Klavierstücke von John Cage stecken die Pianisten Schrauben oder Radiergummis zwischen die Saiten. Als Reaktion auf die Zumutung, doch einen Kaffee mitzutrinken, die steckt die Pianistin verstört Tasse und Unterasse zwischen die Hämmerchen, was einen ganz besonders charmanten perkussiven Effekt ergibt.