Umzingelt von Sagern und Meinern
ARGE / THEATER / WIE KOMMT DAS SALZ INS MEER
24/01/13 Sie waren in der frühen Pubertät – und sie waren zehn, fünfzehn Jahre später vermutlich die letzten, die nach der Scheidung nicht wussten, ob sie die Großmutter der Exfrau siezen oder duzen müssen... Sie waren also in der frühen Pubertät, als Brigitte Schwaiger 1977 ihren Bestseller „Wie kommt das Salz ins Meer“ veröffentlicht hat. Und sie schienen auch das Publikum zu stellen, das am Mittwoch (23.1.) die Bühnenfassung in der Regie von Hildegard Starlinger zu Recht bejubelt hat.
Von Heidemarie Klabacher
Es war ein Blick in die Vergangenheit: zurück auf die Wurzeln und jungen Triebe der Frauenemanzipation, zurück auf ein längst überholtes Eherecht oder zurück auf soziale Strukturen, die den Geschäftsinhabern das Öffnen der Tür und die Verbeugung vor der Gnädigen Frau Doktor vorschrieben. So war das, wenn man die Gattin einer Kapazität war…
Was fangen junge Frauen von heute mit der Ich-Erzählerin in Brigitte Schwaigers Roman an, die von den Tristessen und Ausweglosigkeiten im Leben einer jungen Ehe- und Hausfrau erzählt? Haben die vielen Alleinerzieherinnen, die zwischen Billigarbeitsplatz und Kindertagesstätte ums Überleben kämpfen, haben die wenigen Mütter und Nurhausfrauen, die sich für ihren Einsatz um die Familie als Wirtschaftsschädlinge beschimpfen lassen müssen, Verständnis für die Luxusprobleme der Frauen anno 1977? Tatsächlich war die Schauspielerin Anna Morawetz bei der Premiere die einzige junge Frau im Studio der ARGE. Und sie hat ihre Sache grandios gemacht.
Ob die Regisseurin Hildegard Starlinger auch den Text für die Bühne eingerichtet hat, verrät das Programmblatt nicht. Aufgeteilt wurde der Monolog jedenfalls in chronologisch aufeinander folgende Szenen einer Ehe – erzählt aus der Sicht der jungen Frau, die auch den anderen Personen die Stimme leiht: Nervöse Braut voller Zweifel. Junge Ehefrau politisch belehrt vom Gemahl auf der Hochzeitsreise. Frustrierte Hausfrau beim Nachtmahl kochen. Verzweifelte Einsame nachts am Fenster: Man sieht die anderen Frauen nicht, die ebenfalls verzweifelt und einsam ins Dunkel blicken, sagt sie. In dieser Szene erreicht die Darstellung von Anna Morawetz ihre höchste Intensität.
Eine brillante Soloperformance: Verzweiflung angesichts der Lieblosigkeit und Verständnislosigkeit von Ehemann und Geliebtem, Hilflosigkeit angesichts der gutbürgerlichen Vorstellungen und Vorhaltungen von Familie und Gesellschaft, aber auch scharfe Ironie und bitteren Witz jongliert Anna Morawetz mit der Schnelligkeit und Präzision einer Artistin. Einer Wortartistin.
Schwester Schwaigers Testament hätte keine bessere Exekutorin bekommen können. Sie hat die sozialkritischen und gesellschaftspolitischen Seitenhiebe und Rundumschläge von Brigitte Schwaiger (1949 bis 2010) wie spitze Pfeile – klein aber scharf – ins Publikum gepfeffert.
Nicht nur die schauspielerische Leistung von Anna Morawetz war bestechend. Der Percussionist José Fernando Elias, der auf Suppentöpfen ebenso getrommelt hat, wie auf richtigen Schlaginstrumenten, hat der Sprache eine zusätzliche musikalische Qualität verliehen.
Ein Wurf sind auch Bühnenbild und Ausstattung von Hilde Böhm und Alois Ellmauer: Der Laufsteg für die Braut wird zur Hochzeitstafel, wird – ohne Tischtuch – zum Steg und zum Liegestuhl, zum Küchentisch, zum Ehebett. Im Gegensatz zum Roman endet die Bühnenfassung mit einem stolzen „Ich“ der endlich Geschiedenen. „Alles Trick“ hat Brigitte Schwaiger seinerzeit als letztes getippt.