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Bis das Blut spritzt und die Seele auswandert

THEATER IM KUNSTQUARTIER / DIE PRÄSIDENTINNEN

19/04/12 Hätte aus Werner Schwab eine Art Elfriede Jelinek werden können? Die Sprachgewalt seiner Stücke – verdankt der oft scheinbar so naiven Schwab’schen Sprachanwendung - ist ja unbestritten. Auch an Fäkalien und sonstigen Abseitigkeiten, sowie einer belasteten Kindheit mangelt es nicht.

Von Heidemarie Klabacher

Wie aufregend modern Kunstsprache Werner Schwabs ist! Wie bizarr der eifrige Gebrauch bestimmter oder unbestimmter Artikel vor beinahe jedem Hauptwort, wenn etwa "wieder eine Nächstenliebe aufgebaut werden muss" oder "die schlechten Elemente in die Überzahl hineinwachsen". Wie effektvoll die oft nur minimalen Abwandlungen stehender Begriffe: „Den Gefallen tut er mir ja nicht an“. Wie tief die Abgründe, die sich auftun, wenn Schwab im Wörterbuch nur ein wenig danebengreift: „Das leibeigene Kind“ wandert jedenfalls bis Australien aus…

Nun hat man Werner Schwabs „Präsidentinnen“ ja auf verschiedenen Bühnen schon oft gesehen. Man kennt die Tragödie der beiden älteren Damen Erna und Grete und ihrer jüngeren Freundin Mariedl. Man weiß um die groteske Sparsamkeit Ernas, die ihr kostbarstes Besitztum – eine Pelzhaube – auf dem Müllplatz gefunden hat. Man erinnert sich auch daran, dass Gretes erster Mann die gemeinsame Tochter missbraucht und die alternde Ehefrau mit dem Dackel Lydia allein zurückgelassen hat. Und dass es die Mariedl „auch ohne macht“ – verstopfte Toiletten ohne Gummihandschuhe ausräumen nämlich – das würde man gern vergessen, wenn man nur könnte. Aber das Schicksal der drei, ihn ihrer bemittleidenswerten Beschränktheit gemeingefährlichen, Außenseiterinnen gehört irgendwie schon zum kollektiven Gedächtnis. Zumindest des theater-gehenden Österreichers.

Man kennt also das Stück. Aber wie aufregend modern die bizarre Kunstsprache Werner Schwabs ist, das ist noch selten einmal so deutlich gemacht und mit soviel Understatement über die Rampe gebracht worden, wie gestern Mittwoch (18.4.) bei der Aufführung der Abteilung Schauspiel und Regie des Mozarteums im Theater iM Kunstquartier.

Sabrina Tannen und Manja Haueis überzeugen als Erna und Grete. Sie bewegen ihre bizarr aus der Facon geratenen Körper in den von Thilo Ullrich subtil verfremdeten Alte Damen-Outfits mit größter Selbstverständlichkeit und schwungvoller Natürlichkeit auf der leeren Bühne, über die ettliche Säcke Blumenerde geleert wurden. Ausreichend braunes (!) Material für Mariedl zum Kneten und Liebkosen. Sina Reiß in der Rolle visionären Abort-Ausräumerin strahlt das Charisma und den Wahn einer fundamentalistisch-evangelikalen Predigerin aus.

All das haben die drei blutjungen Schauspielerinnen in der Regie von Julia Wissert wohl lustvoll ausgespielt, aber dabei nie die Grenze zur Farce überschritten. Und genau dort begann denn auch die Tragödie: in dieser Selbstverständlichkeit, mit der dem Publikum die Folgen bitterer Armut und geistiger Beschränktheit vor Augen geführt wurden. Jeder könnte das sein, dessen Horizont nur eng und dessen Tageszeitung nur kleinformatig genug ist.

Den kunstvollen Sprachkaskaden Werner Schwabs begegneten die drei Darstellerinnen sprechtechnisch souverän, zierten da und dort ihre Ergüsse mit hinreißenden Sprach- oder Dialekt-Verfremdungen, die ein urwienerisches „Glasal“ (Gläschen) mit überstark betonter hochdeutscher Vokalfärbung verfälschten. Eine Art künstlicher Sprachklang, mit dem die Kunstsprache noch stärker zum abstrakten Abgesang auf die Menschenwürde wurde. Jedenfalls waren diese „Präsidentinnen“ auch technisch perfekt.

Einzelne Lacher sind einem da und dort ausgekommen, die meisten aber im Hals stecken geblieben – obwohl das komödiantische Potential der drei Darstellerinnen enorm ist. Diese Spannung zwischen Burleske und Sozialdrama baute sich von den ersten noch scheinbar harmlosen Dialogen an auf, entwickelte in den drei Visionen und perspektivenlosen Versionen von einer glücklichen Zukunft eine mitreißende Dynamik – und entlud sich fast beiläufig im bizarren blutrünstigen Finale.

Werner Schwab „Die Präsidentinnen“ – weitere Aufführungen am 19., 20. und 21. April jeweils um 20 Uhr im Theater im Kunstquartier – www.uni-mozarteum.at
Bild: www.uni-mozarteum.at

 

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