Unschuld vereinfacht die Sache nicht
SCHAUSPIELHAUS / DER PROZESS
25.02.2010 Das hat nichts mit dem „Festspielskandal“ zu tun, sondern ist aus der ebenso schrägen wie gut gemachten Kafka-Produktion im Schauspielhaus: „Der Prozess“ als Party-Gag.Von Heidemarie Klabacher
Josef K. - am Morgen seines Dreißigsten Geburtstages schon in Hemd und Krawatte, aber noch in Unterhosen - wird von einer Horde irrer Typen überfallen und in den Rausch einer aberwitzigen Party gezogen.
Zu Wort kommt er nicht. Hin und wieder gelingt ihm ein protestierendes „Aber…“ oder ein erklärenwollendes „Ich…“ Doch sofort fällt ihm einer ins Wort: Sei es der Herr Kanzleidirektor, der Onkel Albert, die Zimmerwirtin Frau Grubach, das Fräulein Bürstner, die Nachbarin, oder andere Hilfswillige, wie der Advokant oder der Künstler Titorelli.
Alle Romanfiguren werden von insgesamt acht Schauspielerinnen und Schauspielern dargestellt. Sie wechseln ständig Rollen und verteilen in Summe - eingepackt und zusammengehalten von Zeitgeist-Jargon - ziemlich viel „Originaltext“ unter sich. Die Bühnenfassung von Barbara Hörtnagl gewinnt - zusammen mit der Inszenierung von Steffen Höld - nach einem etwas mühsamen „Entree“ - rasch an Tempo. Der Text der "Wächter" geht ziemlich unter und seltsamerweise fehlt der Gefängniskaplan (der würde sich auf der Fete freilich seltsam ausnehmen) und mit ihm die "Türhüterparabel". Hat das Regieteam da doch ein wenig Respekt verpürt und diesen hochpoetischen Kern einfach in Ruhe - und damit den "echten" Lesern überlassen wollen?
Immer wieder hat Regisseur Steffen Höld für kleine Decrescendi im allgemeinen Durcheinandergeschwafel (muss gelegentlich auf Empfängen und Partys gewesen sein) gesorgt und Raum geschaffen, für „kleine Soli für Schauspieler und Originaltext“. Ein Höhepunkt: Der Gerichtsmaler Titorelli erklärt dem Angeklagten die Vor- und Nachteile von „scheinbarem Freispruch“ und „Verschleppung des Verfahrens“. Harald Fröhlich hat hier eine ebenso stille wie beängstigende Performance geliefert: viel eindringlicher, als die turbulenten und immer wieder auch handgreiflichen Gruppen-Szenen. Im fragmentarischen Fragment wären auch noch ein paar weitere "Striche" drin.
Übrigens ist Regisseur Steffen Höld persönlich bei der Premiere am Mittwoch (24.2.) für den erkrankten Philip Leenders eingesprungen - und hat als Ensemblemitglied des Wiener Schauspielhauses seine Sache (etwa den Herrn Kanzleidirektor) natürlich brillant gemacht.
Oliver Hildebrand hat als Josef K. also nicht viel zu reden. Die andern verteilen seinen Text, seine Geschichte, sein Leben unter sich: Unverschämt wie ein Parasiten-Schwarm berauben sie ihn seines Sekts im Kühlschrank, seiner Worte, seiner Freiheit. Es hat sich also viel negative Energie in dem Ärmsten gestaut, bis ihm der Kragen platzt und er sich - im Gegensatz zum Original erst ganz gegen Schluss - mit seiner „Verteidigungsrede“ Gehör verschafft. Oliver Hildebrand überzeugt energetisch und sprachlich mit seinem lang sich vorbereitenden Ausbruch. Dieser ist freilich gespickt mit modernisierenden „Schwafel-Elementen“ wie „Entschuldigen Sie bitte, wenn ich das sage…“ Auch hier fehlt der Originaltext.
Von „Ent-Schuldung“ ist auf der Bühne weder im metaphysischen noch im zivilrechtlich-kafkaeksen Sinne die Rede. Dennoch: Es ist seltsam, wie überzeugend diese seltsame Produktion die beängstigende Grundsituation von Kafkas Romanfragment aufgreift und spürbar werden lässt.
„Josef K.“ ist in Kafkas „Der Prozess“ ein schuldlos-schuldig Gefangener imaginärer höherer Kräfte. Der „Joseph“ in Hörtnagl/Hölds „(La Boum) Der Prozess“ ist nur mehr der Gefangene einer idiotischen „Spaßgesellschaft“. Diese "Botschaft" ist kein Ersatz für die in sich kreisende Komplexität und Vielschichtigkeit der "Vorlage". Aber es ist immerhin eine Botschaft: Und diese verlockt vielleicht zum Wieder-Lesen.