Zurichtungen einer Grille
THEATER IN DER DRUCKEREI / DER GOLDENE DRACHE
07/03/11 Einen ersten Vorgeschmack auf Roland Schimmelpfennigs Gastspiel bei den diesjährigen Festspielen, das den großen Ulrich Matthes nach Salzburg locken wird, bot die Schauspielabteilung der Universität Mozarteum unter der Regie von Tina Lanik mit „Der goldene Drache“.
Von Harald Gschwandtner
Jean de la Fontaines Fabel von der Grille und der Ameise ist eigentlich eine recht harmlose Geschichte: Als der Winter einzieht und die Ameise im Gegensatz zur Grille für diesen vorgesorgt hat, bittet die Grille um Hilfe. Doch die Ameise bleibt hart: Wer im Sommer „singen und pfeifen“ könne, der müsse im kargen Winter eben hungern – oder tanzen. Roland Schimmelpfennigs Stück „Der goldene Drache“ aus dem Jahr 2009 radikalisiert die Fabel und überträgt sie auf die Situation von asiatischen Zwangsprostituierten in Europa. Die Ameise wird zum Zuhälter, der sich den Hunger der jungen Frauen und ihre aussichtslose ökonomische Situation zunutze macht. Die Folgen der Globalisierung des Arbeitsmarktes erscheinen hier als düstere Fratze.
Hoch dekoriert sind Schimmelpfennigs Bühnenwerke, er gilt als einer der bedeutendsten Dramatiker der Gegenwart. Kein Wunder, streuen seine Stücke doch Salz in offen liegende gesellschaftlichen Wunden. Ausbeutung, Erniedrigung und gesellschaftliche Marginalisierung von Migranten und Migrantinnen sind also hier das Thema, alle Erzählstränge führen unaufhaltsam in Unglück und physische wie psychische Gewalt.
Sei es die Geschichte vom jungen Asiaten, der in der Küche des Chinarestaurants unter schrecklichen Zahnschmerzen leidet, aber aufgrund seines prekären Sozialstatus keine ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen kann, oder jene von der ungewollt schwangeren Frau, deren Freund davon heillos überfordert ist: In dem Maße, in dem sich die Figuren auf der Bühne mit Würzsauce und Kunstblut bespritzen und bespucken, besudeln sie die Welt, in der sie leben – und werden von ihr besudelt. Am verstörendsten ist die Rolle der Asiatin, die in den Fängen der Fontaine’schen Ameise zur Sexsklavin in der Wohnung über dem Restaurant wird.
Kennzeichnend für das rund eineinhalbstündige Geschehen auf der Bühne ist die besondere Konstruktion der Sprecherrollen. Die Figuren sind nur äußerst lose den einzelnen Schauspielern und Schauspielerinnen zugeordnet und so werden auch beständig die Kleidungsstücke gewechselt (Kostüme Valerie Liegl). In dieser Travestie, die die Geschlechtergrenzen fortlaufend aufbricht, schlüpft beinahe jeder Schauspieler einmal in jede Rolle. So werden nicht zuletzt unterschiedliche Facetten der Figuren ausgereizt.
Um die rasant vorgetragene Textmenge zu bewältigen, wurde die Anzahl der Akteure im Vergleich zur Druckfassung von fünf auf sieben erhöht. Die Schauspieler liefern, wie es der Autor vorsieht, die Regieanweisungen gleich mit: „Kleine Pause“ ist der mit Abstand häufigste Satz, den die Figuren in der Emotion des jeweiligen Settings in ihre Redepassagen einstreuen. Wobei man sich schon zu fragen beginnt, ob dieser erzähltechnische Kniff tatsächlich ein Stück durch den ganzen Abend trägt.
Die enge Küche des Chinarestaurants, das auf der Bühne mit Plastikplanen und dampfenden Wasserkochern angedeutet wird (Bühne Rosi Presta), bietet reichlich Gelegenheit, lauthals zu schreien und zu brüllen – bevorzugt die Namen und Zutaten von chinesischen Speisen. Der Betrieb muss bei all den Dramen, die in diesem Haus ablaufen, aufrecht erhalten werden: Der Tod des jungen Chinesen erscheint am Ende als bloßer Kollateralschaden eines internationalen Machtzusammenhangs.
Die Inszenierung pendelt immer wieder zwischen der Verstörung, die die explizite Zurschaustellung der Thematik hervorruft, und einer irritierenden und manches Mal etwas fehlgeleiteten Komik. Irritierend dabei vor allem auch Teile des Premierenpublikums (am Freitag, 4.3.), die die brutalen emotionalen wie körperlichen Zurichtungen auf der Bühne mitunter mit schallendem Gelächter quittierten. Diese Leute waren wohl auch die einzigen, die wohlgelaunt aus diesem recht beklemmenden Theaterabend schieden.