Von der Tragik des amerikanischen Traums
KAMMERSPIELE / GLASMENAGERIE
27/09/10 Von der Zerbrechlichkeit des amerikanischen Kleinbürgertraums: Damit Tennessee Williams heute noch frisch und lebendig über die Bühne geht, bedarf es der sorgfältigen Inszenierung des Klassikers. Das macht der Abend in den Kammerspielen klar.
Von Erhard Petzel
Im Zusammenspiel des homogen aufeinander eingespielten Ensembles entsteht die unbedingte Wucht einer antiken Tragödie. Jede Figur entwickelt ihr monströses Potential und – in dieses hoffnungslos verwickelt – beschwört ein Schicksal, das so voraussehbar wie archetypisch entlang der Illusion amerikanisch-patriotischer Haltung schlittert. Die Stimmung entsteht quasi selbstverständlich aus diesem spezifischen Hintergrund und verweist beinahe beängstigend in das Allgemeingültige.
Volkmar Kamm, Konrad Kulke und Felix Breyer haben ihr Augenmerk auf eine fein ziselierte Balance zwischen dramatischem Ausdruck und gebrochenem Stationentheater gelegt, die das Abgleiten in Sentimentalität oder aufdringlichen Erzählgestus erfolgreich vermeidet und mit unprätentiöser Poesie verzaubert.
Tim Oberließen bewältigt seine Aufgabe als Tom Wingfield und Conferencier des Dramas in sympathischer und souveräner Manier. Der Wechsel in den Rollen geht nahtlos und natürlich ineinander und trägt mühelos das dramaturgische Gerüst, in das die Mitspieler gesetzt sind. Britta Bayer ist beklemmend realistisch in ihrer Rolle als Amanda Wingfield. Mit schlafwandlerischer Sicherheit trifft sie den richtigen Ton, um das dominante Muttermonster lebendig werden zu lassen. Shantia Ullmann passt ihre Laura fugenlos ein, hilflos ausgesetzt den Gewalten, die zwischen Mutter und Bruder brodeln. Peter Marton reagiert als Jim flexibel auf Familie und Mädchen, feinfühlig, frisch und belebend.
Zum wesentlichen Vehikel wird dabei das Bühnenbild. Ein anfangs den Raum beherrschender Prospekt mit dem aus seiner Uniform sympathisch lächelnden Vater Wingfield wird zur spiegelnden Decke des Wohnzimmers hochgefahren, dessen Hinterwand genau dieses Bild den Großteil des Stückes präsent hält. Die Sterne des Banners stehen im Wertekontrast zur Situation, dass dieses patriotische Mustermannsbild seine Familie im Stich gelassen hatte. Erst im Zusammensein eines möglichen Liebespaares im Kerzenschein entsteht in fein ausgeklügelter Lichtregie eine völlig andere Stimmung. Sie ist aber Folge des abgedrehten Stroms und damit letztlich das Ergebnis des Verrats Toms an seiner Familie.
Zum Schluss, wenn sich Lauras Hoffnung zerschlagen hat, spiegelt sie sich im Kerzenkranz in der nun schräg nach hinten gefahrenen Spiegeldecke wie ein fernöstliches Heiligtum. Eine idealisierte Ikone, genährt aus dem schlechten Gewissen dessen, der sich abgesetzt hat, die aus einem besonders intensiven Stimmungshintergrund heraus das letzte Licht löscht. Langer und lebhafter Applaus dem gesamten Team für eine Aufführung, die noch im Weg nachhause nachwirkt.