Viele Stoffreste für die kleinen Kollegen
REPORTAGE / FESTSPIELE / MARIONETTENTHEATER
03/05/24 Die große Kollegin? Das war, in Monteverdis L'incoronazione di Poppea, Sylvia McNair. Als 1993 deren prachtvolles Kostüm geschneidert wurde, sind logischerweise Stoffreste übrig geblieben. Die haben gereicht, um drei Jahrzehnte später für die Mozartwoche einer „kleinen“ Kollegin ein Gewand auf den Leib zu schneidern.
Von Reinhard Kriechbaum
Diese „Kleine“ heißt Isora und ist eine der Figuren aus Mozart und Salieri von Nikolai Rimski-Korsakow. Dass die Marionette ein gar so imponierendes Kleid tragen durfte, ist einer schon ein paar Jahre laufenden guten, und wie alle Beteiligten versichern, völlig unkomplizierten Zusammenarbeit zwischen der Kostümschneiderei der Festspiele und dem Salzburger Marionettentheater zu verdanken.
Edouard Funck, Kostümbildner und Puppenspieler im Marionettentheater, und seine Kolleginnen und Kollegen dürfen nämlich vorbeischauen im Riesenfundus des in der Schneiderei Übriggebliebenen. Da geht sich aus manchem Stoffrest kein Menschenkleid mehr aus, aber für die Fadenpuppen reicht's allemal.
„In der Kostümabteilung der Salzburger Festspiele lagern rund achttausend Stoffrollen aus den letzten fünf Jahrzehnten“, erklärt Jan Meier, Direktor Kostüm, Maske und Garderobe. „Die Stoffauswahl reicht von einem Hauch von Crepeline bis hin zum schweren Crep Drap. Von Baumwolle bis Satin gestrickt, bedruckt oder bestickt. In fast allen Farbnuancen stapeln sich in den Regalen Ballen von Cord, Filz, Flanell, Musselin, Jersey, Leinen, Samt, Organza sowie sämtliche Seidenarten. Dazu noch Futterstoffe, Spitzenborten, Bänder, Federn und tausende von Knöpfen in allen Größen, Farben und Materialien.“
Klingt nach Eldorado für einen Marionetten-Kostümschneider. Der hat freilich nicht nur Stoffmuster im Blick. Wenn „echte“ Sängerinnen und Sänger auch gelegentlich in schwerem Brokat auf die Bühne gehen, ist das nichts für die hölzernen Kollegen auf der kleinen Bühne an der Schwarzstraße, erklärt Edouard Funck. Er schielt vor allem auf Seidenstoffe und dergleichen leichte Gewebe, denn Marionetten dürfen nicht an Gewicht zulegen. 900 bis 1100 Gramm sind das Idealgewicht, müssen die Puppenspieler doch über die gesamte Vorstellungsdauer das Gewicht der Puppen tragen. Da zählt jedes Gramm mehr. „Der Stoff darf das Gewicht einer Puppe nicht drastisch erhöhen oder ihre Beweglichkeit einschränken, soll aber optisch trotzdem 'schwer' fallen.“ Die meisten Kostüme werden daher aus Seide, Seidenjersey oder Seidensatin gefertigt und – um es wie Loden oder Denim wirken zu lassen – aufwendig bearbeitet, zum Beispiel bemalt. Die Kolleginnen und Kollegen aus der „Hexenküche“, der Färberei in der Festspiel-Kostümabteilung, haben da oft gute Tipps, wie Stoffe plötzlich ganz anders wirken können.
In einem Pressetermin wurden einige der Marionetten, die ihr Outfit den Stoffschnipseln der Festspiele verdanken, vorgestellt. In der 2023 entstandenen Neuproduktion Der Karneval der Tiere – Eine animalische Trilogie wurden Materialien aus dem Festspielfundus verarbeitet. So sind zum Beispiel die Figuren des Maestro und der rezitierenden Hanna Schygulla in Festspielstoffe gewandet. Der lässige Punk? Der heißt Mo und war der alternative Naturschutz-Typ in der Koproduktion mit der Stiftung Der alte Baum. Auch die Marionetten der Neuproduktion Romeo und Julia, die am 24. Oktober Premiere haben wird, werden zum Großteil in Stoffe aus dem Kostüm- und Stoff-Fundus gekleidet.
Geschneidert wird im Marionettentheater, denn die Puppenspieler und -spielerinnen üben dort ja so etwas wie einen Zweitberuf aus: Die einen verstehen sich aufs Schneidern, andere aufs Basteln von Schuhen und Hüten. Edouard Funck zeigt auf den Schuh des „Maestro“: „Das war einmal ein lederner Handschuh.“
Eins haben lebende Darsteller den hölzernen Kolleginnen voraus: Sie können sich rasch umziehen hinter der Bühne. Das geht bei Puppen nicht, denn hängt eine Marionette einmal an den Fäden, sind diese im Weg. „Trägt eine Puppe im Stück verschiedene Kostüme, wird für jedes Kostüm auch eine eigene Puppe angefertigt“, so Susanne Tiefenbacher, Geschäftsführerin des Marionettentheaters. „Zwanzig bis neunzig Figuren treten in einer Produktion auf.“ Drum herrscht in der „Puppenstube“ im Haus an der Schwarzstraße nicht wenig Gedränge: „Sechshundert Figuren sind in den laufenden Produktionen im Einsatz.“
Susanne Tiefenbacher freut sich über die „schöne Zusammenarbeit unter Kreativmenschen“. Die Kooperation ist nicht mit Geld verbunden, schließlich geht’s letztlich um Stoffabfälle. „Bei uns wird nichts weggeworfen“, betont man in der Kostümabteilung der Festspiele. Jan Meier erklärtdass ma n auch sonst gerne aushelfe, etwa wenn die Universität Mozarteum Kostüme benötigt.
Wie es konkret zur Kooperation zwischen Marionettentheater und Festspiel-Kostümabteilung gekommen ist? 2020 war Edouard Funck vom Marionettentheater auch verantwortlich für Kostüme und Puppenbau der Jung & Jeder-Festspielproduktion 1000 Kraniche und hat gestaunt ob der Fülle an Stoffresten. Da kam der Schneidermeister, Kostümbildner und Puppenspieler fast zwangsläufig mit seinem Kollegen Jan Meier ins Gespräch.
Romeo und Julia hat am 24. Oktober im Marionettentheater Premiere
marionetten.at
Bilder: dpk-krie