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Das ganze Land eine Terrorzelle?

UNI MOZARTEUM / DAS SCHWEIGENDE MÄDCHEN

19/04/24 Elfriede Jelineks 2015 entstandenes Stück Das schweigende Mädchens ist noch gar nie in Österreich aufgeführt worden. Ein ehrgeiziges Projekt also für die Abschlussklassen des 4. Jahrgangs Schauspiel am Thomas Bernhard Institut. Premiere war am Donnerstag (18.4.) im Theater im KunstQuartier.

Von Reinhard Kriechbaum

Dass es so lange gedauert hat bis zur Österreichischen Erstaufführung, gibt Elfriede Jelinek recht. Das Verschweigen, das Nicht-wahrhaben-Wollen des Offensichtlichen – genau das ist ja das Thema dieses Stücks, das auf eine unrühmliche Episode des Umgangs mit Neonazi-Umtrieben in neuerer Zeit in Deutschland Bezug nimmt. Zwischen 1998 und 2011 hat die rechtsextreme Terrorgruppe NSU (die Abkürzung steht für Nationalsozialistischer Untergrund) zehn deutsche Unternehmer türkischer und griechischer Herkunft ermordet. Zwei der Rädelsführer haben nach einem missglückten Bankraub Suizid begangen, NSU-Mitglied Beate Zschäpe wurde vor Gericht gestellt, gemeinsam mit mutmaßlichen Helfershelfern, die letztlich ziemlich ungeschoren davonkamen. Mit 430 (!) Verhandlungstagen war das der aufwändigste Prozess in der deutschen Justizgeschichte, und der stand bald im Kreuzfeuer der Kritik: Da wurde nämlich offenkundig, dass so manche herzlich wenig an umfassender Aufklärung interessiert waren. Es hat damals nicht nur das „Mädchen“ (also Beate Zschäpe) geschwiegen...

Was auch rechtens kritisiert wurde: Die Ermittlungsbehörden wollten lange nicht wahrhaben, dass es sich um rechtsterroristische Umtriebe handelte. Obwohl es einschlägige geheimdienstliche Hinweise aus dem Ausland gab, war man fälschlicherweise (oder das Offensichtliche bewusst negierend) von Kriminalfällen innerhalb migrantischer Milieus ausgegangen.

Erst unlängst hat man sich im Wiener Theater am Werk diesem Stoff gewidmet (Playing Earl Turner). Dort ging es mehr ums Dokumentarische und um ideologische Hintergründe. Elfriede Jelinek nimmt aber ihr Publikum direkt ins Visier: Wie groß ist die Bereitschaft des Mit-Schweigens in der Gesellschaft? Und wie verheerend ist dieses Schweigen, wenn die Demokratie in Gefahr ist? Die Frage „Was ist Wahrheit?“ und manch anderes Zitatwerk aus der Johannes-Passion und anderen Bibelstellen bringt sie ein in dieser Textfläche, die nicht flach bleibt, sondern das Publikum ziemlich unvermittelt auch in Abgründe blicken lässt: „Verfassungsschützer in schlechter Verfassung“, heißt es einmal.

An die Universität zurückgeholt hat man für diese Aufführung Simon Werdelis, der hier Schauspiel und Regie studiert, kurz auch am Landestheater gespielt und dann rasch Karriere in Deutschland gemacht hat. Im Vorjahr wurde er als „Regisseur des Jahres“ vorgeschlagen. Er ist kein Zimperlicher, wenn es ums Entwickeln anschaulicher Bilder geht. Inmitten des schlichten weißen Bühnenraums (Nogati Udayana) eine rote Blutlache. Das so gut wie immer vollzählig versammelte neunköpfige Ensemble steigt möglichst nicht hinein, man will das Blut schließlich nicht wahrhaben. An der Rückwand Schalldämpfungs-Matten: Da lässt sich gut dran horchen, ohne dass man Gefahr läuft, etwas Unangenehmes wahrnehmen zu müssen. Die anderen: zum rechts-Radikalismus tendierende Menschen, die heimatliche Scholle nicht nur „rein“ halten wollen, sondern die Erde mit Urgewalt über die Bühne, gegen die Mehrheitsgesellschaft schleudern. „Blutleer zwar“, sei dieser von Ausländern gereinigte Boden, „aber er trägt doch“, heißt es einmal höhnisch. Und über die Rechtsradikalen und ihre Sympathisanten: „Sie sind wieder wer, sie wissen nur nicht, wer sie sind.“ Szenen- und Sprachbilder, die nachwirken.

Die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler schonen weder sich noch das Material. Wesentlicher noch: Sie haben toll zu sprechen gelernt in ihrer Ausbildung am Thomas Bernhard Institut. Es beginnt hektisch: „Deutschland schweigt, indem es ununterbrochen redet“, tadelt die Jelinek. Mit dramaturgischem Raffinement und Sinn für fast musikalische Abläufe gewinnt die Aufführung an Ruhe und damit Eindringlichkeit. Alle neun Leute – Colin Johner, Victoria Kraft, Joseph Lang, Valerie Martin, Lena Plochberger, Joyce Sanhá, Fayola Schönrock, Payam Yazdani, Adrian Weinek – bekommen wie maßgeschneidert wirkende Freiräume für Monologe, mit Theater-Sinn zugeschnitten auf die jeweiligen Typen und ihre Möglichkeiten, individuell nachgeschärft mit juveniler Energie.

Das tut weh, und so soll es ja auch sein. Das schweigende Mädchen will uns aufrütteln, auch wenn die Formulierung „Ganz Deutschland eine Terrorzelle“ hoffentlich doch dichterische Übertreibung der Elfriede Jelinek ist. Man ist mit dieser Aufführung jedenfalls ganz nah und respektvoll am Text – und stößt am Ende eine Tür in die unmittelbare Gegenwart, in den Dezember vorigen Jahres auf. Frontal ans Publikum: „Potsdam ... auch darüber werden Sie schweigen!“

Weitere Aufführungen am 18., 19. und 20. April sowie am 15., 16. und 17. Mai um 20 Uhr im Theater im KunstQuartier  – www.moz.ac.at
Bilder: Universität Mozarteum / Paulo Jamil Sieweck
Zur Theaterbesprechung Das Evangelium der Rechtsradikalen

 

 

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