Je älter, umso geiler?
KLEINES THEATER / PARADIES
21/09/23 Die Komödie Paradies von Emmanuel Robert-Espalieu ist eine extravagante Paraphrase zum biblischen Urpaar. Sie als laszive Verführerin, er als tumber Tor. Das Theater Ecce hat Paradies im Frühjahr im Oval uraufgeführt, jetzt ist eine Aufführungsserie im Kleinen Theater angesagt.
Von Erhard Petzel
Spezialität ist ein erheblicher Generationsunterschied nach dem Motto: „Je älter, umso geiler“. Josefine (Daniela Enzi) ist eine ausgeflippte Alte, die bis zum Morgengrauen in der Bar namens Paradies unter Vollkörpereinsatz abtanzt. Der junge Erwachsene Emil (Alexander Lughofer) sitzt, trinkt und betätigt sein Smartphone. Während sie das Publikum zu Spontan-Applaus und Mitklatschen anregt, genügt er sich als Personifizierung von eingeschlafenen Füßen. So weit, so gut. Auch im gewöhnlichen Leben gar nicht so selten zu beobachten.Als sie ihn aber direkt anbaggert, gerät er einigermaßen aus der Fassung.
Ihre Kommunikationsstrategie folgt dem Rezept der frechen Komödie aus Provokation und Tatsachenverdrehung, der er nicht recht gewachsen ist. Umso mehr Freude bereitet das dem Sicherheit genießenden Publikum aus dem Genuss gewitzter Bosheiten und berechnenden Zumutungen.
So überrumpelt Josefine den Zögerlichen erfolgreich, mit ihr auszuharren, bis sie abgeholt würde. Das wird nicht die einzige Unwahrheit während der Begegnung sein, da sie das Vergnügen an Spielchen mit der reservierten und gehemmten Zufallsbekanntschaft antreibt. Er fällt auch aufreizend naiv darauf herein.
Das große Überthema ist Sex im Alter mit allen möglichen Ausstülpungen. Dabei steht Emil prototypisch für eine reaktionäre Generation woker und humorloser Junger, die den Alten das Recht auf sexuelle Ausschweifung nicht zugestehen wollten. Diese Zuspitzung ist natürlich Teil subjektiver Kommunikation und damit lediglich dramatische Anlage zur Entwicklung des Geschehens und der durchaus über Klischees gefestigten Beziehungskiste.
Dieser grundlegende Handlungsstrang wird aufgebrochen durch eingepasste Anekdoten aus anderen Teilen der Biografie, wobei die Grenzen zum Rollenspiel auf der Bühne verschwimmen. So sind die Besuche Emils bei seiner Mutter im Altersheim (laut Josefine gleichbedeutend mit Freudenhaus) als quasi Familienaufstellung durch sie eingeleitet. Wenn Emil in die Rolle von Fifis Altersliebhaber Karli schlüpft, während sie selbst einen Cocktail mixt, ist der Erzählbruch unauflöslich. Die große Kritik an der Verhinderung einer zurückliegenden Altersheim-Liebe durch Heimleitung und Familie: „Alte sterben, wenn sie nicht mehr lieben dürfen.“ Dem Sohn wird übel genommen, dass er seiner Mutter wegen ihres Alters misstraut. Diese Episoden zeigen Josefine gebrechlicher als im aktuellen Zustand nach einer Hüftoperation.
Die geile Alte und der gehemmte Junge verbringen einen gemeinsamen Morgen in der Bar, nachdem sie von deren Sperrstunde überrascht wurden. Sie nähern sich einander an, sodass er schließlich auf ihre Avancen nicht mehr panisch wie ein „Rebhuhn vor der Jagderöffnung“ reagiert – wenn sie sich vor der vormals von ihm gerufenen Polizei durch die Hintertür verdrücken, lädt er sie großzügig zum Frühstück ein. Während sie ihn gleich einmal geduzt hat, braucht er den Schlüssel über seine Oma, auf dass er mit dem Energiebündel Fifi warm werden kann und bereit ist, die Vornamen auszutauschen. Zum Schluss legt er mit ihr ein einfühlsames Tänzchen hin – eine Perspektive zum liebevollen und verständigen Umgang zwischen den Generationen.
Humor und Witz würzen den von Gerard Es inszenierten Paarlauf, der es bei aller Deftigkeit nicht an gutem Geschmack fehlen lässt. Ehemalige Reizthemen wie lesbische Liebe werden durch die Struktur des Stückes in ihren historischen Kontext eingepasst und wirken deshalb nicht aus der Zeit gefallen. Die einfache Bühnenausstattung lenkt den Fokus auf das Spiel des Paares, die Brüche in der Handlung versteht man auch so. Akklamation durch das köstlich amüsierte Publikum.
Die nächsten Termine im Kleinen Theater: 21.9., 6. und 7.10., 11. und 12.11. l – www.kleinestheater.at; www.theater-ecce.com
Bilder: Kleines Theater / Sigrid Riepl