Revolver, Möwe und echter Tschechow
KLEINES THEATER / THEATER CHRONOS
19/09/23 Wär's nicht ziemlich originaler Tschechow und hätte damit abendfüllende Länge, dann hätte diese internationale Produktion eine gewisse Straßentheater-Anmutung: Das Stück Enter with a gun and a dead seagull kommt mit den allerwenigsten und allereinfachsten szenischen Mitteln aus.
Von Reinhard Kriechbaum
Aber auch in einem schlichten Gewölbe wie dem Kleinen Theater macht sich die Aufführung, die sich unterschiedlichsten Bühnensituationen flexibel anzupassen vermag, gut. Die sechs jungen Damen samt Quotenmann sind seit Mitte August mit Enter with a gun and a dead seagull, einer englischsprachigen Version der Möwe, auf Tournee. Auftakt war im Kleinen Theater, am Freitag (15.9.) sind sie – quasi auf Zwischenstation – wieder dort gelandet.
Es ist eine Gemeinschaftsproduktion des Salzburger Theater Chronos und des schwedischen Kollektievet PÖL. Das erklärt die Besetzung und die Aufführungsorte. Schweden quasi kreuz und quer, ein Stück den Inn aufwärts (Kufstein, Schwaz, Innsbruck) und zum Abschluss noch kurz nach Bruneck.
Die Salzburgerin Magdalena Köchl teilt sich mit der Schwedin Corre Longueville die Leitung. „Producer“ heißt das im Programmfolder, nicht Regisseurinnen. Es dürfte wohl eine sehr geglückte, literarisch bewusste und verantwortungsvolle Gruppenarbeit von Gleichberechtigten zu Tschechov sein.
Alle sind immer auf der Bühne. Wer gerade nicht vorkommt in einer Szene, hockt seitwärts, beobachtet das Geschehen, verstärkt gelegentlich mit Gesten oder macht vokale Bühnenmusik – Kompositionen mit Charisma von Andrej Agranovski. Die deutschen Untertitel werden auf die Rückwand projiziert. Sehr hilfreich.
Schön, dass sich diese jungen Leute der absolut dominierenden Mode heutzutage versagen, alles und jedes durch die Mangel eigener Befindlichkeiten zu drehen. Man ist und bleibt den ganzen Abend lang ganz nah bei Tschechow, wobei vor allem der literarische Diskurs in diesem Stück – Erfolg gegen Misserfolg, Freiheit gegen Korsett der Konvention, Qualität und Originalität gegen halbseidene Durchschnittlichkeit – ausgeleuchtet wird.
Das ist im Einzelnen präzis gearbeitet, mit dramaturgischem Gespür gefasst und in den Emotionen kontrolliert. Sich so über Tschechow drüber zu machen, getraut man sich vermutlich nur in diesem Alter, aber die Aufführung hat nichts Pausbäckiges und auch nichts Überambitioniertes. Fast könnte man sagen: gutes altes Schauspielertheater mit erfrischend juvenilem Touch.