Nicht das doppelte Lottchen!
ARGE KULTUR / ELSE (OHNE FRÄULEIN)
14/09/23 Nur wer selber selber nicht mehr jung ist, kann sich an ältliche Damen erinnern, die sich mit „Fräulein“ ansprechen ließen. Weibliches Servierpersonal wurde noch längere Zeit nach Abschaffung des Begriffs so gerufen. Aber kein aktiver Richter (selbst mit Glatze und Faltenhoden) wird eine Fünfzehnjährige als „Fräulein“ ansprechen – wie in der Schnitzler-Paraphrase von Thomas Arzt.
Von Erhard Petzel
Dass bevorstehende Zahlungsunfähigkeit eines Bürgers eher nicht mehr zum Ehrverlust mit Selbsttötung führen wird, macht die inhaltliche Änderung gegenüber dem Original plausibel: Else wird, von der Familie, gezwungen, sich nicht an einen reichen Freund der Eltern heranmachen, sondern an den Richter, der den Prozess gegen ihren Vater führen wird. Dass Else im Stück jünger ist als in der Novelle mag aufgrund des nach hundert Jahren veränderten Rechtsrahmens zum Begriff des „Erwachsenen“ stimmig sein.
Einige Grundelemente in der Paraphrase Else (OHNE Fräulein) von Thomas Arzt halten die Verbindung zu Schnitzlers Fräulein Else aufrecht. Ansonsten ist diese Else sehr anders gestrickt. Premiere war am Mittwoch (13.9.) in der ARGEkultur. Regie führen im Team Michael Kolnberger/Helena May Heber. Auf der schwarzen Bühne von Arthur Zgubic mit zentralem Transparenzspiegel und seitlichen Abgängen tanzen Johanna Klaushofer und Sophia Fischbacher im Partnerlook, rosa Sneakers, braun-rötlich kariertem Kleid, braunem Lockenhaar mit rosa Gummi. So ergeben sie ein Duo als Zwillingspaar (Innensicht – Äußerungen) und diverse Dialogpartner, wobei die Rollenverteilung beliebig wechselt.
Ist Schnitzlers Else geneigt, ungeniert mit den spitzen Steinen des Ressentiments um sich zu werfen, obwohl sie fatal im Glashaus der Konventionen sitzt, brüllen sich die Elses bei Arzt im vermeintlichen Jugendjargon ordinär aus der Reserve. Die Intervention der Eltern ist auch nicht mehr direkt, sondern wird von Else während ihres Umgangs mit dem Richter vermutet. Sie tritt hier eigeninitiativ auf – in der Absicht, die Chancen ihres Vaters aktiv zu beeinflussen. Das schadet letztlich allerdings der Stringenz des Handlungsablaufs. Wie generell die geniale Geschlossenheit des Originals in der Einheit von Ort, Zeit und Handlung nicht eingehalten werden kann. Die dramaturgische Spannung der Novelle – zwischen dem Ehrverlust durch Zahlungsunfähigkeit und Veruntreuung für das Familienoberhaupt und dessen impertinente Spekulation, die Tochter möge es aufgrund ihrer Reize bei einem „Freund“ der Familie mit dem Auftreiben der Summe versuchen, womit die Kompromittierung von deren Ehre in Kauf genommen wird – ist ein wesentlicher Motor. Dass diese gesellschaftliche Konstellation nach dem Ersten Weltkrieg überholt war und Schnitzler als aus der Zeit gefallen galt, bedeutet auf der anderen Seite, dass ihm ein Menschenschicksal in diesem Umfeld prototypisch wert war, ausgearbeitet und plastisch modelliert zu werden. Noch immer ergreift es mit dem Erkenntnisgewinn für den heutigen Menschen, der einen emotionellen Blick in eine andere Epoche werfen kann.
Was hat man von der Aktualisierung durch Arzt? Die Zerrissenheit eines Teenagers, der sich um seine Sicherheit betrogen sieht (wobei hier stark der materielle Aspekt im Vordergrund steht), die Kränkung durch nicht verkraftete Verhältnisse und die Unreife im Umgang mit der eigenen narzisstischen Belastung... Nichts, was auch das Original bietet, wenn auch verklausulierter und kunstfertiger. Für Schnitzler spricht auch, dass die Figur einer Zwanzigjährigen für erwachsene Schauspielerinnen doch organischer darzustellen ist, als gerade die einer Fünfzehnjährigen. Für einen feministischen Diskurs reicht das Angebotene nicht, und ein paar Reizmomente für das Zitat einer MeToo#Reminiszenz machen das dramatische Kraut auch nicht fett.
Doch eher plump sind die vorgebrachten Geschlechterstereotype in der Figur des Grapschers von Richter. Mit mühsamen Aufwand muss die Geschichte vorangetrieben werden. Arthur Zgubic’ Bühne hingegen ist funktionell wie auch die eingespielte Musik. Klaushofer und Fischbacher werden für ihr engagiertes Spiel eifrig applaudiert wie auch die gesamte Crew. Die Frage stellt sich nach dem Abend, ob man nicht lieber bei Schnitzler bleiben und dafür gleich ein eigenes Stück über heutige Jugendliche machen sollte. Und eine frische Brise durch die etwas monokulturell bewirtschaftete Frauenthematik könnte auch nicht schaden.
Else (OHNE Fräulein) –weitere Aufführungen im Studio der ARGEkultur 18., 19 und 20.9. jeweils um 19.30 im Studio der ARGEkultur – www.argekultur.at
Bilder: ARGEkultur / Piet Six