Wo bleibt Schönheit ohne Welt
SCHAUSPIELHAUS SALZBURG / GRETA
17/05/23 Wozu lernen, wenn man als einziges Schulfach Untergang unterrichten müsste? Als Ergebnis intensiver Recherche inszeniert die aus Wien gebürtige Azelia Opak ihr Stück über Greta Thunberg und feiert damit ihren Einstand am Schauspielhaus.
Von Erhard Petzel
Als Dramatisierung einer Biografie ist dieses nicht nur für die adressierte Jugend ab 12 Jahren interessant, da Erwachsene eine kleine Zeitreise aus der aktuellen Gegenwart Revue passieren lassen können. Wo hat die von Greta initiierte Bewegung Fridays for Future den Diskurs bereits beeinflusst, wie sehen aktuelle Gegenbewegungen aus? Die gegenwärtige Klimakleber-Debatte zeigt die Bandbreite von Diskurs-Unterstützung bis Repression, sodass sich die schmerzliche Erkenntnis der trägen Mittelbarkeit menschlicher Erkenntnis in unseren Gesellschaften auf den Brettern von Weltdeutung verdichtet.
Ragna Heiny gestaltet diese als weißes Viereck in schiefer Ebene über Palmwedeln, Paletten, Podien und Holzkisten. Dahinter eine die Bühne fast umspannende Leinwand als Projektionsfläche. Marcel Busá wirft darauf nicht nur einen Film mit Greta als Pappschild-Aktivistin und Wellen eines Flusses, bildet nicht nur Mauern und Wolkenhimmel als Hintergründe zur bespielten Bühne. Vielmehr gibt es mit Tapetendekor die optische Umsetzung einer Dualität, die sich durch das Stück zieht und sie rahmt.
Greta argumentiert im Streit mit ihrer Opern singenden Mutter: Wo bleibt Schönheit ohne Welt? Diese kontert mit dem Chiasmus, wo denn die Welt ohne Schönheit bliebe. Der Streit entsteht aus der Essensverweigerung Gretas. Sie möchte ihre Familie unbedingt aktivieren und argumentiert mit wissenschaftsbasierten Daten. Alles andere brandmarkt sie als Ablenkung von den Fakten. „Ihr wisst alles und tut nichts“. Gretas Plädoyer für Wissenschaft statt Musik wird am CO2-Ausstoß des Kulturbetriebs festgemacht: Wegen der Emotionen sieht man die Emissionen nicht.
Der Kampf gegen die Musik findet sich auch auf Deutsch auf dem Pappschild im Film, die schwedische Stadt-Szenerie zeigt die erfolglose Aktivistin in ihrer Verlorenheit. Und doch entwickelt sich aus Gesprächen mit einem Nihilisten (Sebastian Goditsch) und drei Schulstreikerinnen die Bewegung Fridays for Future. Wozu lernen, wenn man als einziges Schulfach Untergang unterrichten müsste? Greta (Theresia Amstler) wird von einer Reporterin als Allegorie der Medien (Jana Rieger) zur Ikone hochstilisiert und lässt dies entgegen der Einwände des Vaters (Rene Eichinger) auch dezidiert zu, aller Gefährdung der persönlichen Integrität durch eine nicht zu kontrollierende Medienöffentlichkeit zum Trotz.
Das Stück ist in fünf Akte gegliedert, deren Motto jeweils zu Beginn projiziert wird. Der Hintergrund von Akt vier monochrom in rot für das brennende Haus. „I want you to panic“ mit Greta, die Fakten vorträgt, bis die Personifikationen von Wirtschaft, Politik, Bildung und Vernunft unter Moderation der Medien mit ihr konferieren. Da ersetzt Slapstick weitgehend die tiefere Auslotung, was angesichts des Zielpublikums auch angebracht sein mag. Bei aller Erregung und Phasen der Distanzierung bis integrierender Aneignung von Gretas Positionen zeigen sich die treibenden Mächte als sehr konzentrationsschwach, sodass die Aktivistin nicht müde werden darf, ständig Maßnahmen einzufordern, deren Fixierung dauernd wieder verpufft. Schon so etwas wie eine Charakterisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Gewaltfreiheit wird von den Gewaltigen eingefordert, mit den Klimaklebern thematisiert sich wieder der Kampf gegen die Schönheit.
Ein letztes Greta-Solo mündet in den Auftritt der Mutter (Annalena Hochgruber) als Dido im barocken Gold-Kostüm, in der Schlussszene aus Purcells Oper, deren Musik einen weiteren Rahmen im Aufbau des Stücks einzieht. In Schönheit verhaucht sie ihr Leben, geklammert an den Wunsch „remember me“. „Ende?“ (letzte Projektion). Geplant ist, dass Fridays-for-Future bei den Aufführungen zu Wort kommen soll, sodass etliche Klassen ein spannendes und künstlerisch geschlossenes Event erwartet, das vielleicht über eine bloße Theateraufführung aus dem Schulalltag hinaus wirksam werden kann.
DrehPunktKultur besuchte die Generalprobe, Premiere war heute Mittwoch (17.5.) Vormittag. Aufführungen bis 28. Juni. Familientermine am 21. Mai, 4., 17. und 25. Juni jeweils um 15 Uhr – www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Jan Friese