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Das Grauen kommt in Bodennähe

SCHAUSPIELHAUS / FRANKENSTEIN

19/09/22 Wenige Werke aus dem literarischen Kanon haben eine so nachhaltige und breit gestreute Wirksamkeit entfaltet wie das Buch der jungen Mary Shelley. Die denkwürdigen Umstände seiner Entstehung entsprechen der bemerkenswerten Aktualität, die über zweihundert Jahre intensiver geworden ist statt zu verblassen.

Von Erhard Petzel

Jérôme Junod hat Shelleys Roman eingedampft zu einem beeindruckenden Theaterabend. Mit seiner Bühnenadaption gelang ihm eine dichte und spannende Erzählung, die Strukturen des Romans frei nachbildend und konzentriert offen legend. Einige Freiheiten biedern sich vielleicht dem Zeitgeist an. Freilich kann man Kapitän Walton als Testosteron verströmende Frauenrolle anlegen, aber es müsste nicht sein. Und dass Walton in einem weiteren Erzählrahmen einer lesbischen Interviewerin die Geschichte servieren wird, sei geschenkt. Die dauerhafte literarische Leistung Mary Shelleys überstrahlt solch heutige Befindlichkeiten.

Ein großartiger Effekt der Aufführung ist der Spannungsbogen, der aus den Erzählebenen und dem Eintauchen in die gespielten Rückblenden resultiert und als Kompositionsprinzip betont wird. Mit einfachsten Theatermitteln werden minimal angedeutete Plätze für die verschiedenen Orte geschaffen (Bühne Isabel Graf). Die Kostüme von Antoaneta Stereva ermöglichen blitzschnelle Wechsel, da sieben Personen mehrere Rollen übernehmen müssen, auch wenn das Personal auf das nötigste Minimum reduziert ist. So taucht Petra Staduan als Kapitänin Walton auch als Agatha und Justine auf, ohne dass die durchgehende Fiktion der Gesprächssituation zwischen Frankenstein und Kapitän beeinträchtigt würde. Antony Conor beweist seine Wandlungsfähigkeit zwischen besorgtem Familienvater, cholerisch schrulligem Professor und Matrosen. Diese schauspielerische Vielfalt teilt er mit Olaf Salzer, Paul Andre Worms und Magdalena Oettl, die Elisabeth als ihre Hauptrolle spielt.

Virtuos beispielsweise, wie Erzählebenen mit dem Verlesen von Briefen vermengt und auf kürzestem Weg in eine packende Klimax führen. Damit wird der Schaffensrausch Frankensteins vor dem Hintergrund der Besorgnis seiner Liebsten beklemmend deutlich. Wolfgang Kandler legt den Doktor als verunsicherten Streber an, der er im Roman ja auch ist. Ständig fällt er aus der Rolle, indem er Seitenblicke auf seinen Gesprächspartner wirft und somit nie ganz bei sich selbst ist. Dass von so einem Menschen Gefahr ausgehen kann, wird sofort deutlich, wie auch seine moralische Positionierung nicht einfach übernommen werden muss.

Im Zentrum des Romans, dem Gespräch der Kreatur mit seinem Schöpfer im Gebirge, steht die Verantwortung des einen für den anderen. Die Bühnenfassung modelliert die charakterliche Entwicklung des Monsters zum Antagonismus Gut-Böse mehr am literarischen Input der Lektüre, Miltons Paradise lost. Die Familie, in deren Hintergrund es sich sozialisiert und bildet, ist hier eine Gruppe junger Revolutionäre um den verbannten blinden Vater. Herrlich, wie mit Brabbelsprache das allmähliche Erkennen von sprachlichen Inhalten und Strukturen herausgeschält wird.

Das Monster: Karlow und De Niro haben die allgemein präsenten Film-Bilder dazu geschaffen. Hier funktioniert es faszinierend anders. Zwar traut man Hussam Nimir durchaus zu, Kandler im Kampf zu besiegen, doch wird die Statur kaum ausgespielt. Sprache und choreografierte Bewegungen zeigen ein geschmeidig gebrochenes Wesen, das sich kaum vom Boden zu erheben scheint. Meist schwarz umhüllt mit Kapuze, wächst es selten in die Höhe und löst seine Umhüllung erst gegen Schluss dauerhaft, nachdem sein Rachewerk erfüllt ist. Nach dem vorangegangenen dichten Spiel mit mitreißender schauspielerischer Leistung aller und effektiv eingesetzter Lichtregie (Marcel Busá) wirkt der rhetorische Schluss etwas unanimiert. Dagegen ist die Musik Bernhard Eders von Beginn bis zum bitteren Ende ein emotional tragendes Element. Setzt er die Ouvertüre mit einem Song, scheint er selbst wie ein fremder Exot traurig aus der Gesellschaft gefallen. Der Grundtenor menschlichen Leids: Liebe, Glück und Einsamkeit.

Die Aufführung macht deutlich, warum Mary Shelleys Roman zum modernen Mythos wurde: die Gefahren des Transhumanismus und die Grenzen moralischer Bewertung. Das begeisterte Premierenpublikum zeigte seine Bereitschaft, diese die Menschheit verfolgenden Dilemmata zu teilen.

Aufführungen bis 22. Oktober – schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Jan Friese

 

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