Jedermanns glücklicherer Bruder
STRASSENTHEATER / DER ZERISSENE
26/07/10 So groß ist der Unterschied gar nicht zwischen Hofmannsthal und Nestroy, zwischen dem Jedermann des einen auf dem Domplatz und dem Zerrissenen des anderen auf dem Waagplatz: Beinah zeitgleich leben, lieben und sterben die beiden „Kapitalisten“. Vielleicht stechen deswegen die Ähnlichkeiten zwischen den Herren Jedermann und von Lips so ins Auge.
Von Heidemarie Klabacher
Im Detail liegen natürlich andere Welten als nur Mozart- und Residenzplatz dazwischen. Wenn auch hüben wie drüben zunächst mal ein reicher Junggeselle von so genannten „Freunden“ kräftig ausgenutzt wird. In der Liebe beschert Nestroy seinen Protagonisten jedenfalls mehr Glück. Er verlangt von der Jungfer Kathi allerdings auch nicht, dass sie mit ihrem künftigen Gemahl in den Tod geht. Im Gegenteil: Dieser ist soeben leibhaftig auferstanden und noch dazu dem Kriminal entgangen. Herr von Lips gedenkt, jetzt endlich so richtig glücklich und unzerrissen weiterzuleben - mitsamt seinem getreuen Patenkind als jugendlicher Ehefrau.
Nach einem absurden Gerangel glauben der Herr von Lips und der mit Anbringung eines Veranda-Geländers beauftragte Schmied Gluthammer den jeweils anderen ermordet zu haben. Der „Kriminalfall“ klärt sich nach einiger Aufregung. Mit feiner Klinge und dickem Knüppel werden treue Freunde und feige Schmarotzer voneinander geschieden.
Das Salzburger Straßentheater beschert zu seinem vierzigsten Geburtstag sich selbst und seinem Publikum mit diesem „Zerrissenen“ ein authentisches Theatererlebnis: voll Schwung und Tempo, voll Witz und Humor. „Straßentheater“ - das hat in dieser Lesart gar nichts mit überlaut deklamierten Versen zu tun. Im Gegenteil! Es ist erstaunlich, auf welch leise Töne die Darstellerinnen und Darsteller in der Regie von Klaus Gmeiner immer wieder zu setzen wagen. Und man versteht sie trotzdem.
Die Stimmung am Sonntag (25.7.) bei der Vorstellung am Waagplatz war ebenso konzentriert wie heiter. Die Zuschauer hatten alsbald ihren Steh-Platz gefunden. Mit diszipliniertem „Still-Stehen“ (viel anstrengender als nur „Still-Sitzen“, welches trotzdem nicht immer funktioniert) hielten sie die Sicht-Kanäle auf das Geschen immer offen.
Dass es tatsächlich „unplugged“ geht, bewies auch die feine Klarinetten-Bühnenmusik um Helmuth Gubi für die Couplets: Unverwechselbarer Charme ist der Lohn für den Mut zu solch leisen Klängen. Walter Müller hat übrigens die aktuellen Strophen gedichtet: Die schönste von allen nahm die Salzburger Poller-G’sturi in den Blick.
Auch die scheinbar totale Reduktion in der Ausstattung von Bernd Dieter Müller ist viel mehr Bereicherung, denn Beschränkung: Der Diener betätigt einen Knopf (oder Hebel) an der Wagenwand, und von einem gemalten Bäumchen im Park des Herrn von Lips auf dem Wagendach klappt die obere Hälfte runter: Schon sind die Strohballen auf den Feldern des Pächters Krautkopf angedeutet. Das garantiert Lacher - und reicht der Phantasie allemal.
Leo Braune ist der überzeugend gelangweilte und noch überzeugender in Schwung gebrachte Herr von Lips, Martina Ebm dessen treue Patentochter Kathi. Mathias Christian Rehrl als kraftvoller Schlosser Gluthammer ist der Liebling aller, Peter Josch der Kopfweh geplagte Pächter Krautkopf. Clemens Berndorff und Angela Schneider sind das saubere Pärchen auf der Suche nach unversiegbaren Geldquellen. Olaf Salzer hat den Mord- bzw. Erbschaftsprozess als Justitiarius Staubmann zu leiten (und mangels Mordopfer auszusetzen). Und auch die Diener Boris Popoviv und Alexander Korobko machen mehr als gute Figur in diesem hinreißenden Spiel vom glücklichen Auferstehen und fröhlichen Weiterleben des Reichen Mannes.