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Es wird geredet, aber es wird nicht verstanden

LANDESTHEATER / HELDENPLATZ

08/02/21 „Sechseinhalb Millionen, die nach einem Regisseur schreien.“ Was Bernhard in seinem Stück Heldenplatz dem in äußerer und innerer Emigration verbarrikardierten und doch so hellsichtig auf die Gegenwart blickenden Robert Schuster in den Mund legt, kann einem Gänsehaut machen.

Von Reinhard Kriechbaum

Die sechseinhalb Millionen, die galten 1988. So viele Einwohner hatte Österreich, als Heldenplatz im Burgtheater seine Uraufführung erlebte. Jetzt sind es neun Millionen. Davon ist ein bei Wahlen höchst zahlen-relevanter Anteil tatsächlich jederzeit für einen „Regisseur“ zu gewinnen, so er denn die rechten – die rechten! – Emotionen zu bedienen versteht. Die Differenz zwischen sechseinhalb und fast neun Millionen: Das ist genau jener Bevölkerungsteil, der für solche Regisseure schamlos als Sündenbocke herhalten muß.

Thomas Bernhard war, ein Jahr vor seinem Tod, hellsichtig wie nie. „Die Wiener sind Judenhasser und werden immer Judenhasser bleiben“, ließ er den Robert Schuster sagen. Dass man drei Jahrzehnte später das Wort „Juden“ nur durch „Muslime“ ersetzen müsste, um Bernhards rabenschwarze Offenbarungen eines keineswegs „gesunden“ Volksempfindens zu bestätigen, hätte den Dichter vielleicht selbst verblüfft. Und der Antisemitismus, auf den Bernhard hinzielte, feiert ja wie nebenher auch wieder fröhliche Urständ. Und leider sowieso immer gültig: „Es wird geredet, aber es wird nicht verstanden.“

Wichtig also, Heldenplatz nicht in der österreichischen Theatergeschichte abzulegen, sondern auch wirklich aufzuführen. Vor ziemlich genau einem Jahr hat man es im Grazer Schauspielhaus produziert, nun hatte das Stück im Salzburger Landestheater Premiere. Vorerst online, aber man hofft doch noch auf eine Aufführungsserie vor Publikum. Das wäre notwendiger als bei jedem anderen Stück im diesjährigen Spielplan.

Es ist, die skandalumwitterte Uraufführung eingerechnet, erst die fünfte Inszenierung des Stücks auf einer österreichischen Bühne. Aufmunitioniert nicht nur von der „Krone“, gingen im Oktober 1988 die Wort-Granaten noch bevor dem Vorhang in Peymanns Burgtheater hochgegangen war: „Im Augenblick ... müht sich Österreich, die größtmögliche Übereinstimmung der Wirklichkeit mit Bernhards grotesken Texten herbeizuführen.“ So ein ironischer Kommentator damals in der Süddeutschen Zeitung. Jörg Haider und H. C. Strache, gerade ins Wahlalter gekommen, brüllten als Radaubrüder im (Un)Geiste aus einer Loge im Burgtheater.

Heutzutage brüllt natürlich keiner mehr. Erstens, weil man kein Theater mehr braucht, um sich entschieden rechts zu outen. Wozu gibt’s Corona-Protestmärsche? Zweitens: Den trüben Gedanken Thomas Bernhards ist wenig entgegenzusetzen. Sie sind von der Wirklichkeit längst eingeholt, wenn nicht überholt. „Jetzt kommen sie aus allen Löchern heraus“, heißt es im Stück über die Nazis. Das Wort „Neonazi“ war 1988 noch nicht geboren. Wäre es Thomas Bernhard eingefallen, hätte man das seinerzeit glattweg als dichterische Zuspitzung abgetan.

Heldenplatz: Dort hat Professor Schuster, heimgekehrt aus der Emigration in Oxford, Selbstmord begangen, sich aus dem Fenster gestürzt. Seine Frau hat immer noch die Begeisterungsschreie für den Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland im Ohr. Die Hinterbliebenen, zuvorderst des Professors Bruder Robert, schildern die Welt- und Seelensicht des aus der Welt Geschiedenen – und damit natürlich immer auch ihre eigenen Befindlichkeiten.

Alexandra Liedtke hat inszeniert, sehr sachlich, sehr präzis und ganz wohltuend unaufgeregt. Selten geht einer Darstellerin die Emotion durch. Mit dem Leisem, im scheinbar „normalen“ Gesprächsduktus, wird wahrlich genug Gänsehaut erzeugt. Ziemlich genial ist die Ausstattung von Eva Musil. Zuerst die eindrucksvolle Suada der Frau Zittel (Britta Bayer). Die Haushälterin und das fast stumme Hausmädchen (trotzdem charismatisch als wortunfähige Zeugin des Grauens: Patrizia Unger) sind eingezwängt in der ultra-engen Kleiderkammer, bis oben voll mit Weißwäsche. Dann die Weitung vom Privaten ins Öffentliche, ins Welt-Sichtige, also ins Österreich-Sichtige. In der fast gespenstisch kahlen Friedhofsszenerie mit viel Herbstblättern und einer Projektion nackter Zweige faltet Robert Schuster die Seelenwelt der Emigrantenfamilie auf. Ja, sein Bruder hat sich aus dem Fenster gestürzt. Aber an Deformierungen leiden alle Familienangehörigen.

August Zirner ist Robert Schuster und damit eigentlich Thomas Bernhard. Sogar in der Physiognomie ähnelt er ihm. „Die Welt ist ja heute eine zerstörte … durch und durch stumpfsinnige ...“ Onkel Robert „gestattet“ sich zwar „hin und wieder eine Erregung“, aber er hat sich in sein Schicksal gefügt als einer, der aus seiner Welt gefallen (oder getreten worden) ist. „Ich bin ja gegen fast alles – aber ich protestiere nicht mehr.“

Im dritten Bild ist die Familie, auf Umzugskartons sitzend, zum Leichenschmaus versammelt. Da hat Elisabeth Rath als des Professors Witwe ihren kurzen, aber großen Auftritt. Sie hat schon 1988 bei der Uraufführung von Heldenplatz mitgewirkt (da war sie die schweigsame Olga). Jetzt alles andere als Schweigen, ein überdreht-hoffnungsloses Aufbäumen quasi gegen sich selbst. Aber auch da ist eigentlich Onkel Robert der Spielmacher. Der kritische, wissende Blick, mit dem er den Exzess seiner Schwägerin, aber auch all die aufflackernden, vermutlich dutzendfach schon gehörten Stehsätze der anderen Familienmitglieder aufnimmt... Robert Schuster weiß, was gespielt wird.

In der - passend zur Inszenierung – völlig unprätentiösen und gut geschnittenen Premieren-Filmversion kommt das wunderbar heraus. Unbedingt zu erwähnen die wie unterschwellig daher kommende Musik von Karsten Riedel, die an passenden Stellen die Monologe unterbricht und damit die Bernhards Texten innewohnende Sprach-Musikalität verstärkt.

Die Aufführung im Salzburger Landestheater ist bis 5. März im Stream sehen – Zum TrailerZum Stream www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Anna-Maria Löffelberger
Zur Besprechung der Grazer Aufführung
Wir fallen immer wieder auf Österreich herein

 

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