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Wer ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt

LANDESTHEATER / #ERSTHELFER #FIRSTAID

31/01/21 Jeder Dokumentarfilmer weiß das, und auch alle, die dieses Genre schätzen: Das weitaus Interessanteste sind Menschen, die wirklich etwas zu erzählen haben. Der ehemalige Salzburger Bürgermeister Heinz Schaden hat, wenn er sich an den 1. September 2015 und die Tage und Wochen danach erinnert, tatsächlich etwas zu erzählen.

Von Reinhard Kriechbaum

Was damals geschah: Hunderte, Tausende syrische Flüchtlinge waren über die Balkanroute nach Budapest gekommen. Ihr Ziel: Deutschland. Orban hat sie in Busse verfrachten und an die österreichische Grenze bringen lassen. Weiter ging's nach Salzburg. Angela Merkel hatte zwar verkündet: „Wir schaffen das!“ – aber erst einmal war enormer Stau auf dem Bahnhof in der Stadt Salzburg. Vor dem Grenzübertritt gab es Wartezeit. Heinz Schaden hat kurzerhand die Tiefgarage am Bahnhof in ein Flüchtlingslager verwandelt. Im Lauf weniger Wochen wurden dort 350.000 Menschen versorgt. Und auch unmittelbar an der Grenze, vor der Brücke nach Freilassing, gab es viel zu organisieren, Probleme zu lösen und Leid zu lindern.

Ein gefundenes Fressen für Nuran David Calis, einen Spezialisten für dokumentarisches Theater. Er hat sich dem Thema nicht aus der Perspektive der Flüchtlinge genähert, sondern aus dem Blickwinkel derjenigen, die sich damals mit viel Einsatz und ziemlich perfekten Ergebnissen eingebracht haben. Viel Recherche hat stattgefunden für diesen vorerst in den Livestream verbannten Theaterabend im Salzburger Landestheater. Das Ergebnis ist auch ein Programmbuch mit Oral History auf über achtzig Seiten. Zeithistoriker werden einmal dankbar sein, für den Premierenstream nicht weniger als für dieses Erinnerungsbuch.

Nuran David Calis schickt vier junge Schauspieler (Larissa Enzi, Nikola Jaritz-Rudle, Skye MacDonald, Maximilian Paier) und Heinz Schaden auf die Bühne. Kein schlechter Weg, um der Jungspund-Truppe, die sich aufrichtig und mit Herzblut einbringt, sich aber gelegentlich in überschießende Selbst-Betroffenheit hineinsteigert, in Schach zu halten. Wenn's allzu krass wird mit der Ausformulierung der eigenen Betroffenheit, sind des Politikers und damaligen Chef-Organisators unaufgeregte Erinnerungen ein mäßigendes Korrektiv. Schaden weiß, wie Theater geht – der Ex-Bürgermeister war schließlich einer der ganz wenigen Politiker, die man nicht nur in Vorwahlzeiten im Theater gesehen hat.

Die Sache ist gut strukturiert. Zuerst dürfen die Darstellerinnen und Darsteller erzählen, wo sie waren in diesem Spätsommer 2015 – sie waren im Prinzip alle mit sich und der beginnenden Schauspielerkarriere beschäftigt. Was damals geschah, haben sie nur am Rande wahrgenommen.

Dann geht’s ans Dokumentarische. Aus dem gesammelten Material wird zitiert, der damalige Bürgermeister wird vom Ensemble dazu befragt. Für einen Gegenwartsbezug sorgt ein kurzes Skype-Interview mit einer Flüchtlingshelferin auf Lesbos. Man arbeitet viel mit der Live-Kamera, was der Technik für den Live-Stream gute Schnittmöglichkeiten bietet: Der Abstand zwischen Streaming und realem Theatererlebnis dürfte also geringer ausfallen als bei einer bloß „abgefilmten“ Aufführung.

Jene im Publikum, die damals vor Ort waren, erfahren manch Aufschlussreiches aus diesen Tagen, die der damalige Bürgermeister als ein Total-Versagen des Staates und der Bundesorgane in Erinnerung hat. Eigentlich kommt nur der damalige Eisenbahn-Chef Christian Kern (der es dann in Österreich zum glücklosen Kurzzeit-Bundeskanzler gebracht hat) gut weg. Zur Erinnerung: Der damalige Innenminister hieß Sebastian Kurz. Er hat sich an den Flüchtlingen damals nicht die Finger verbrannt, sondern posthum das Schließen der Balkanroute auf seine Erfolgsliste gesetzt...

Es kam also entscheidend auf die Hilfe vor Ort an. Heinz Schaden jetzt: „Die Gesellschaft hat damals das Beste gezeigt, was in ihr steckt.“ Und er beklagt, wie viele, die derzeitige Stimmungslage in einem Land, „das sich scheinbar hoffnungslos, wie die EU, im Flüchtlingsthema verheddert hat“.

Im Grunde verzichtbar ist jener Abschnitt, in dem dem die jungen Leute auf der Bühne mit größter Emotion ihre politische Rolle als Schauspieler*innen und ihre bescheidenen Möglichkeiten, etwas zum Guten zu bewegen, ventilieren. Das ist nun wirklich hundertfach durchgekaut. Die Welt-Errettung von der Bühne ausgerechnet des Salzburger Landestheaters herunter ist eben leider nicht zu erwarten.

Aber das Schlusswort gehört wieder Heinz Schaden, der von einem Flüchtlingsjungen Omar erzählt. Den hat es dann nach Schweden verschlagen. Er ist dort in eine verständnisvolle Familie gekommen, hat eine gute Schulbildung bekommen und ein Harvard-Stipendium vor sich (noch verhindert die Pandämie die Reise in die USA). Schaden zitiert den Talmud: „Wer ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt.“

Das Programmbuch zum Download – Zum Trailer – Die Streaming-Angebote des Salzburger Landestheaters – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Anna-Maria Löffelberger

 

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