Was zählt, ist die Emotion
LANDESTHEATER / ORF-STUDIO / NETWORK
28/09/20 Heute Montag (28.9) ist World News Day. Absicht oder zufall, jedenfalls ein gutes Zusammentreffen, dass das Landestheater gerade jetzt Network von Lee Hall spielt, als Österreichischen Erstaufführung im Landesstudio des ORF. Die Adaption des Drehbuchs von Paddy Chayefsky für die Film-Humoreske aus dem Jahr 1976 ist inhaltlich nach wie vor relevant.
Von Erhard Petzel
Bei allen Aktualisierungen arbeitet der Plot von Network (Uraufführung 2017) nicht das aktuelle Thema Fake News ab, sondern das große Thema der Boulevardisierung der Medien, wie sie sich auch beispielsweise Böll in Katharina Blum vorgenommen hatte. Wenn mit „Good night, and good luck“ als letzte Worte die Schlussbotschaft eines Ermordeten ausgestrahlt wird, ist jedem Amerikaner der 1970er Jahre die parodistische Umkehrung des Ideals vom unbestechlichen, investigativen Journalisten gewärtig. Der Mord an Nachrichtenmoderator Howard Beale, in messianischer Erregung köstlich gespielt von Axel Meinhardt, erfolgt nicht, weil er die Wahrheit verfälscht hätte, sondern weil er diese dort ungeschminkt darstellt, wo er die kapitalen Interessen seines Arbeitgebers verrät.
Dass er in diese Position überhaupt kommt, verdankt er der hemmungslosen Emotionalisierung seiner Auftritte, womit er seine Kündigung nicht nur abwendet, sondern sich als Medienphänomen mit der Allmacht der Ausstrahlung unantastbar gemacht hat, sogar wenn die Quote in den Keller rasselt, weil er die kapitalistische Religion der freakigen Konzernchefin (Chris Lohner) zu dozieren beginnt. Mrs. Jensen ist von der Natur des Kapitalismus und seinen Heilserwartungen so überzeugt, dass sie an ihrem Prediger festhält, unbeeindruckt davon, welche Verwerfungen sich auf dem Marktplatz für das Netzwerk damit auch ergeben. Die Besessenheit von Zahlen zeuge von einer antiquierten Welt. Das Fernsehen sei lediglich Hardware für das, was zähle, und das seien Meinungen.
Damit düpiert sie ihre aufgelöste Programmdirektorin Diana Christensen, die für die Quote über Leichen geht. Mit dem Manager Frank Hackett, der sich als „Macher“ des Phänomens Howard Beale in die Führungsriege gepusht hat, findet Christensen das skrupellose Pendant, den zum finanziellen Risiko verkommenen Moderator über einen ihrer vom Sender unter Vertrag genommenen Terroristen wegpusten zu lassen (Beales Aufstieg setzte mit der Ankündigung seines Selbstmordes vor laufender Kamera wegen schlechter Quote ein). Unter die Räder der Karrieristen kommen alle, die für einen Rest Anstand in der Berichterstattung oder echte Emotionen auf der Beziehungsebene einstehen. So stirbt der Vorstandsvorsitzende Ed Ruddy (Walter Sachers) an Herzinfarkt, Nachrichtenchef Max Schumacher wird geschasst und erleidet auch privat Schiffbruch.
Unter der Regie von Claus Tröger werden die stereotypen Rollen vom Team mit komödiantischer Leichtigkeit und realistischer Eleganz gespielt. Christoph Wieschke ist als windiger Manager in seinem Element, Alessandro Visentin darf als Producer Harry Hunter dauerhaft verzweifeln und Mira Huber fährt eine wuchtige Ehebrucharie hoch. Höhepunkte werden geschickt und sittlich korrekt auf Leinwand eingespielt. So die köstliche Bettszene mit Britta Bayer und Georg Clementi als Metapher der Überwältigung des Menschen durch das Business: Während des gesamten Aktes sprudelt sie ununterbrochen Projekte und Quotenbringer. Der reale Studiorahmen erleichtert Katja Schindowski die Ausstattung ungemein, sodass eine lockere Atmosphäre von Echtheit entsteht.
Mit der Leichtigkeit des Seins ersteht die wandelbare Wahrheit des Wutbürgers und fände hier vielleicht sogar ein Konzept jenseits der Fiktion, wie man konstruktiv damit umgehen könnte. Beales Botschaft, seinen Zorn erst herauszuschreien, bevor man an die Problemlösung schreitet, könnte bei geschickter Kanalisierung vielleicht tatsächlich so manchen Gesellschaftskrampf lösen. Das allgemein skandierte Motto: „Ihr könnt mich alle am Arsch lecken! Ich habe die Schnauze voll!“, hat in seiner Urtümlichkeit eine genüsslich befreiende Wirkung. So wie der ganze Abend.