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Verwirbelungen mit Ariadnefaden

LANDESTHEATER / 1000 TUTORIALS

14/09/20 Es ist ein großer Spaß mit Klamauk, unter dem die gequälte Seele des in der Öffentlichkeit vereinsamungs-verängstigten Menschen stöhnt. Geschickt wird zusammengefügt, was nebeinander steht. Überzeichnet auf die Bühne kommt, was überinszeniert für das Netz geschaffen wurde: 1000 und noch viel mehr Tutorials.

Von Erhard Petzel

Wenn es kein Fake ist, werden zum Schluss Videosequenzen auf die Leinwand projiziert: Handlungsanleitungen aus dem Netz, die ins Stück Eingang gefunden haben. Nachdem die einzelnen Szenen als Tutorials organisiert sind, entsteht auf natürliche Weise eine Darstellungsästhetik einer künstlichen Parallelwelt, die an die konzeptionelle Avantgarde der klassischen Moderne erinnert.

Die Produktion 1000 Tutorials in den Kammerspielen trägt in beispielgebender Ergänzung das Original im Titel: Gebrauchsanweisung: How to get up from a chair. Darauf wird sich verdichten, was am Samstag (12.9.) seine Uraufführung fand: Ein weiteres spannendes Theaterprojekt des Landestheaters von Ronnie Brodetzky. Gelacht wird über den Ausdruck der Sehnsucht, die in dieser Qualität von Selbstinszenierung zum Wahrnehmungsbruch führen muss, wenn Außen- und Innensichten zum kommunikativen Spiel verkommen.

Doch auch ein roter Faden durchzieht das bunte Treiben als Längsachse, der die zunächst chaotisch anmutenden Verwirbelungen an sich bindet. Da sitzt Hanno Waldner auf einem Sessel und erzählt eine Episode aus seiner frühen Kindheit: Die Mutter rennt hinter ihm her, um ihm einen Pullover anzuziehen. Er lehnt das ab wegen der zwei Sekunden, da der Kopf eingesperrt ist. Für ihn wird die Anleitung zum Anziehen eines Hemdes tragendes Motiv.

Nach einem Durchgang verschiedener Tutorial-Szenen reagiert er auf den Dating-Beitrag einer hysterischen Katzen-Besessenen (großes Wahnsinns-Solo Genia Maria Karaseks) und führt damit einen der Beziehungsstränge des Stückes von Liebe über Familie bis zur Trennung durch. Das letzte Hemd wird zur Abschnür-Metapher mit Referenz auf den Pullover eingangs. Den Kopf eingehüllt im Tuch, die Ärmel als Würgebengel. Verzweifeltes Finale ums Aufstehen aus dem Sessel.

Die anderen sind ein hyperaktives Glamor-Liebespaar mit entsprechend vermarkteter Selbstreferenz (äußerst vital Patrizia Unger und Maximilian Paier), das an einem homoerotischen Seitensprung zerbricht, und Larissa Enzi als martialische Sportkampf-Tutorialgroßmeisterin mit Sparringpartner Martin Trippensee, den sie mit ihrem egomanischen Gehabe so vergrault, dass sie sich eine Entschuldigung entpressen muss. Dazu Soli und Ensembleszenen zu Lippsingen, Es gibt Zungenkussberatung an Orange, Hinführung zu perfektionierter Bodenwischtechnik und zwei unterschiedliche Anleitungen zum Weinen.

Letztere sind ebenso als logische Folge der gescheiterten Eheleute platziert wie weitere, die Handlung begleitenden Handhabungsanleitungen. All das ermöglicht immens komische Szenen. Untermalt sind Aktionen und Stimmungen mit der geschmeidigen Musik Ran Bagnos, die aktionistische Choreografie der sprühenden Truppe stammt von Tal Cohn. Ruth Miller schafft ein so einfaches wie funktionelles Bühnenbild mit einer roten Pyramide im hinteren Zentrum der Bühne, an der auch Gewaltfantasien ausgelebt werden können. Das israelische Kernteam läuft unter der Regie von Ronnie Brodetzky, deren Text für Haifa mit Lea Mantel auf das österreichische Publikum umgearbeitet wurde.

Es ist nicht nur Lach-Revue. Die Figuren erfahren Liebe und Mitgefühl ihrer Autorin und des Publikums. Wenn Theater die aktuellen Lebensumstände transformiert, finden hier die Fragen an den Menschen in der Szenerie statt, die ihm die heutige Kommunikationstechnologie bietet. Der Drang, in die Öffentlichkeit zu gehen trotz der Gefahr, sich zum Affen zu machen, speist sich aus den ewigen Beweggründen des sozialen Individuums. Möge der Input der Individuen in die kommerzielle Maschine nicht zum nivellierenden und entmündigenden Zwangs-Konsumismus führen.

Weitere Aufführungen in den Kammerspielen bis 5. Jänner 2021 - www.salzburger-landestheater.at
Bilder: LT / Tobias Witzgall

 

 

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