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Ok Boomer

KLEINES THEATER / IDIOTEN

12/12/19 Der Idiot, Fürst Myshkin, weiß nicht, wie das Leben ist. Das Leben ist aber kompliziert. Die schweizerische Heterotopie des Sanatoriums infiziert ihn mit Moral und Glauben, die frühimperialistische russische Gesellschaft versucht ihn davon zu heilen. Dostojewski im Kleinen Theater als Jugendstück.

Von Franz Jäger-Waldau

Das Leben ist kompliziert, aber Dostojewskis Welt ist noch komplizierter. In seinem überlangen Roman Der Idiot geschieht je nach Perspektive ziemlich viel oder ziemlich wenig. Der Protagonist, Fürst Myshkin, wird als Fremdkörper in die St. Petersburger Gesellschaft des 19. Jahrhunderts geworfen und von ihr umsponnen. Dostojewski verwendet ihn als Untersuchungsobjekt für eine figürliche Tiefbohrung. Das Schlechte an ihm ist, dass er gut ist: „Fürsten Myschkin gibt es jetzt außer mir gar nicht mehr; ich glaube, ich bin der letzte.“

Für Jugendliche ist das aber alles viel zu kompliziert, meint vielleicht die Inszenierung Idioten - Die Welt steht Kopf im Kleinen Theater. Schon das Programmheft streckt Dostojewskis Text mit großen Worten wie „entfremdete Gesellschaft, die die Menschen vor sich her jagt und in der vieles dem Schein geschuldet ist, in einer Zeit, wo die Gesellschaft um die wirtschaftlichen Privilegien kämpft“ über die Bank. Und zwingt ihn kurz darauf in das abgetragene und eingelaufene Korsett der Aktualität: „Fake News“ im „politischen Alltag“, „in dem viele Personen des Romans auch auf erschreckende Weise im Hier und Jetzt Protagonisten sein könnten" ... Denn das ist Jugendlichen wichtig.

Die verworrene Textur löst die Inszenierung durch Verwirrung. Mehr als 15 Rollen werden von einer Person (Andreas Simma) – in einem zweifellos unheimlichen schauspielerischen Gewaltakt – gespielt. Daneben sitzt der Musiker Yorgos Pervolarakis und tut Dinge mit Instrumenten.

Pervolarakis ist ein begnadeter Musiker auf der falschen Bühne. Seine Einspielungen unterstreichen nichts, sie streichen durch den ohnehin schon zarten Handlungsstrang. „Kannst du bitte endlich aufhören? Was soll das überhaupt sein?“, wird er einmal gebeten – aber er hört nicht auf. Wenigstens gewähren diese Einspielungen Zeit zum Erwägen; etwa warum er zehn Minuten lang Tanzmusik mit seinem Laptop auflegen muss, wenn schon nach zehn Sekunden nichts mehr damit gesagt wird. Womöglich, weil er sich erinnert, wie Jugendliche es lieben, zu tanzen, wenn sie nüchtern am helllichten Tag bei Dostojewski im Theater sitzen. Ein Blick in die Reihen ... Dort thronen geschlossen erschrockene Boomers, und selbst erschrocken erkennt man in sich den 'Jugendlichsten' unter ihnen.

Texte sind wie Gummipuppen. Angenehm, weil sie sich nicht dagegen wehren, was mit ihnen passiert – sie lassen sich sogar still dramatisieren. Schwierig ist es nur, wenn jemand dabei zuschaut und etwa auch noch fragt: An welcher Stelle wird die Form von ihrer Umformung erweitert? Denn was an Dostojewski dunkel ist, wird hier unsichtbar, die Inszenierung von Caroline Richards skelettiert Strukturen, ohne damit Raum zu öffnen. Die schauspielerische und musikalische Reichweite von Simma und Pervolarakis ist an diese Enge verschwendet.

Weitere Vorstellungen bis März 2020  www.kleinestheater.at
Bilder: Kleines Theater / Michael Herzog, Christian Streili

 

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