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Ein Wut-Sohn und ein Wut-Vater

SCHAUSPIELHAUS / WER HAT MEINEN VATER UMGEBRACHT / DER VATER

29/11/19 „Es war nicht Dein Leben, Du hast neben Deinem Leben hergelebt“, so der Sohn über den Vater, der zu den Verlierern nicht nur materiellen Wohlstands, sondern letztlich eines lebenswerten Lebens selbst zählt. Warum dieser Vater deshalb Le Pen wählt, hat der Franzose Édouard Louis schon in einem früheren Buch beschrieben.

Von Reinhard Kriechbaum

Einmal spricht der Sohn, ein ander Mal der Vater selbst. Es geht um zwei Vater-Figuren, die im (Wirtschafts-)Leben versagt haben. Wer hat meinen Vater umgebracht, ein zum Background-Monolog geformter Roman von Édouard Louis, ist im Schauspielhaus kombiniert mit Der Vater von Stéphanie Chaillou.

Nein, tot ist er noch nicht, aber als Mensch, als selbstbestimmtes Individuum so gut wie ermordet. Unbeholfen stakst der noch gar nicht alte Herr über die Bühne. Körperlich ist der vielleicht Fünzigjährige ein Wrack. Von der Seele reden wir gleich gar nicht. Mit zitternder linker Hand blättert er, eine ganze Stunde lang, im Buch, das der Sohn über ihn geschrieben hat. Der Text kommt aus dem Hintergrund (Sprecher: Bastian Dulisch).

Der Vater, den Édouard Louis beschreibt, war Alkoholiker, die Mutter hat ihn schließlich rausgeschmissen. Sein Leben lang hat er schwer gearbeitet. Hat er sich selbst oder hat ihn die Arbeit kaputt gemacht? Oder das soziale Umfeld? Des Autors Antwort fällt eindeutig aus. Édouard Louis, erst 27 Jahre alt, ist einer der literarischen Wortführer der Gelbwesten-Bewegung.

Für den Franzosen ist deren Protest nicht eine vage Reaktion auf irrerale Ängste von Wohlstandsverlierern, auf die das Abdriften nach rechts gerne geschoben wird. Leute wie sein Vater (der echte wie jener im Buch) hatten und haben keine Chance. Eine Politik der Ausgrenzug und das scheibchenweise Demontieren von Sozialleistungen hat einen ruinösen Weg an den unteren Rand der Gesellschaft in Gang gesetzt.

Emotion ist bei Édouard Louis gepaart mit messerscharfem politischen Verstand und einem hyperrealistischen Blick auf Lebensumstände, die Leute, die es in der Kulturszene zu etwas bringen, meist eher nur vom Hörensagen kennen. Authentizität ist die Stärke dieses Autors. Édouard Louis beschreibt seine Herkunft und er blättert die Folgen der Politik auf. Und deshalb beharrt er zuletzt darauf, die eigentlichen Verursacher der Ausweglosikeit vieler zu benennen: „Für Deine Leidensgeschichte gibt es Namen“ – von Chirac über Sarkozy, Hollande bis Macron nebst ihren Zuarbeitern aus Sozial-, Gesundheits und Wirtschaftsministerien.

Szenenwechsel, Rollenwechsel. Für Der Vater von Stéphanie Chaillou schlüpft Theo Helm nun also in dessen Rolle. Auch dieser Vater ist nicht betagt.

Er war erst dreißig, als der Wirtschaftsliberalismus ihn und seinen Bauernhof frontal erwischt hat. Mit dem Konkurs hat er „die Welt die meine war“ verloren, und alle Hoffnung, „dass mein Leben ein glückliches würde“ hat sich in nichts aufgelöst. „Dass ich jemand war und dieser Jemand kein Versager war“ – zu diesem neuen Selbstbewusstsein zu kommen, hat Jahre, Jahrzehnte gebraucht. Auch Stéphanie Chaillou schreibt nicht abstrakt über ein Milieu, sie wuchs in bäuerlichem Umfeld auf und hat das Bauern(hof)sterben miterlebt. Also auch ein hohes Maß an emotioneller Sympathie und an realistischem Sinn. Ursachen und Wirkungen der wirtschaftlichen Großwetterlage weiß auch sie konkret zu benennen.

Wie sich Theo Helm vom Körper-Wrack bei Édouard Louis zum Wut-Vater bei Stéphanie Chaillou wandelt, ist ein schauspielerisches Bravourstück. In der Regie von Gerhard Willert gelingt es ihm, all die Seelenverformungen so heraus zu bringen, dass die beiden Vater-Figuren nicht zur Karikatur werden, nicht zum Klischee gerinnen. Wenn der Chaillou'sche Vater die Faust ballt und von Mordgelüsten spricht, wird tatsächlich greifbar, wie explosiv die Stimmung (nicht nur unter den französischen Gelbwesten) ist.

Das akustische Environnement von Wolfgang „Fadi“ Dorninger arbeitet der Intensität dieser Monologe sehr gezielt zu. Die Ausstattung von Alexandra Pitz: Ein kleines, deltoidförmiges Podest ist im ersten Teil mit weißem Tuch bedeckt, danach ist der Boden wiesengrün und in einer Hintergrundprojektion sehen wir ein Maisfeld, das bald zum Brachland wird. Erst ganz am Schluss sprießen wieder Triebe aus dem Boden. Das letzte Wort des vaters – glücklich – hat trotzdem mehrere Fragezeichen.

Aufführungen bis 9. Jänner 2020 im Schauspielhaus-Studio – www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Nick Mangafas

 

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