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Nur 15 Gramm Pentobarbital

OPEN MIND FESTIVAL / IBSEN:GESPENSTER

24/11/19 Was für ein Finale des Open Mind Festivals in der ARGEkultur! Bye Bye Everything (so das Motto heuer). Da hieß es zuletzt: Dem Leben selbst ein letztes Lebewohl zu sagen – und ein fröhliches zu Weiterleben finden. Ibsen:Gespenster mit Markus&Markus.

Von Reinhard Kriechbaum

Was für ein Setting!Ein Performance-Kollektiv denkt über den Freitod nach und findet jemanden, der genau diesen sucht: Es war die damals 81jährige Margot, ein überaus liebenswürdige, abgeklärte, in hohem Maß selbst reflektierte Dame. Im Vollbesitz ihres Urteilsvermögens steuerte sie die Schweiz an, wo selbstbestimmtes, medizinisch überwachtes Sterben möglich ist. Solange man bloß selbst die Kanüle öffnet und die in Wasser aufgelösten 15 Gramm Pentobarbital in die eigenen Adern fließen lässt.

Margot öffnete den Theaterleuten ihre Wohnungstür, aber vor allem ihre Seele. Sie ließ es zu, dass die beiden Schauspieler Markus Schäfer und Markus Wenzel und die Video-Filmerin Katarina Eckold teil hatten an den letzten 31 Tage ihres Lebens. Ein Abschied von Familienangehörigen und Freundinnen mit lächelndem Gesicht, mit innerer Gelöstheit, mit – sagen wir ruhig: paradiesischer Leichtigkeit. So fröhlich kann eine Henkersmahlzeit sein, wenn man bald selbst am Strick ziehen wird.

Es entstanden Videosequenzen, die vermutlich allein schon bei Filmfestivals für Furore sorgen würden. Dem Kollektiv Markus&Markus geht es dann freilich um ein Theater, in dem die Videosequenzen eine wichtige, aber eben nur eine Ebene bestimmen. Im Fall dieses gewollten Todes geht es auch um die entscheidende Frage des Weiterlebens. Sind Trauer und allmähliches Vergessen der Pietät letzter Schluss? Ist nicht vielmehr eine wie improvisiert wirkende Komödie, ein gar frivoles Spiel mit Requisiten, mit denen sich die Verblichene in ihren letzten Wochen umgeben hatte, eine wesentlich passendere Form des eherenden Gedächtnisses?

Markus&Markus reizen solche Gedanken aus. Unter ihren Zylindern (wie sie einst beamtete Pompfunebrer trugen) entsteht ein gar frivoles Bühnen-Gedächtnis quasi unter dem Lächeln der Verstorbenen auf der Videowall. Ihre Plüschtiere sind die Gäste, sie sitzen auf den weißen Sesseln einer langen Tafel. Porzellan-Nippes sonder Zahl sind die Tischdekoration. Ein halber Hausrat ist anfangs in Schachteln verpackt und wird uns, das Publikum, hineinziehen in ein Leben, in das wir plötzlich involviert sind. Durfte man es zulassen, dass ein solch liebenswerter, intellektueller, wiewohl körperlich gebrechlicher und medizinisch morbider Mensch sich einfach davon macht aus dieser, seiner, unserer Welt?

Bei Ibsen bittet Osvald seine Mutter, ihm mit Gift den Freitod zu ermöglichen, wenn seine Geisteskrankheit Überhand gewinnt über sein Denken. Es ist eigentlich nur ein nebensächlicher Aspekt in Ibsens Konglomerat an Gesellschafts-Ungeheuerlichkeiten in den Gespenstern. Auch Markus&Markus gehen nicht allein los auf die eine Frage nach dem Pro und Contra zum Thema Freitod. Die Frage ihrer Performance, dem Intensivsten seit Jahren, was in Salzburg überhaupt zu sehen war, ist die nach dem Leben. Und dazu gehört auch das Sterben. Es hat Charme, wenn es als Kunst, als Ars moriendi zelebriert wird. In den Tod kann man auch tanzen. Auf Spitze.

Bild: ARGEkultur / michaelgroessingerfotografie

 

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