Verirren in der Heiligen Wildnis?
TOIHAUS / SPIELZEIT 2019/20
24/09/19 Wer Eindruck schinden will unter Intellektuellen oder Belesenen, sage nur: „Mein Lieblingsdichter ist Hölderlin.“ Respektvolles Schweigen wird folgen. Des Hochverrats verdächtigt. Psychisch erkrankt. Brutal zwangs-behandelt: Anno 1805 wollte die Medizin „Poesie und Narrheit zugleich hinausjagen“ aus dem armen Dichter, der sich dieser Tage „als Wegbeleiter der Spielzeit im Toihaus“ wieder auf die Beine machen muss.
Von Heidemarie Klabacher
„In unserer Gesellschaft ist die Wildnis verloren gegangen. In der Unschärfe suche ich das Wesentliche“, sagt Cornelia Böhnisch, zusammen mit Katharina Schrott und Karin Bitterli Leiterin im Toihaus. Ob Wildnis immer unscharf sein muss, gehört noch diskutiert. Aber Hölderlin auf dem Tripp in die Wildnis, unscharf oder nicht, vor den Expeditions-Karren zu spannen, ist klug. So klug, wie es für Zwerge ist, sich auf die Schultern von Riesen zu setzen: Man sieht einfach mehr.
Und wenn der Riese, auf den man sich hockt, auch noch einer ist wie Hölderlin, der zu den wichtigsten und zugleich tragischsten Gestalten der deutschen Literaturgeschichte zählt, ist jedes Theater dramaturgisch-intellektuell auf der sicheren Seite: In einem Pressegespräch heute Dienstag (24.9.) im Toihaus stellte das Leitungsteam das Programm für die Spielzeit 2019/20 vor: „Heilige Wildnis ist das Motto. Friedrich Hölderlin, 1770 bis 1843, der Wandergefährte“, heißt es.
„In Friedrich Hölderlins Werken spielen Natur und Religion eine zentrale Rolle. Hölderlin, der 2020 seinen 250. Geburtstag feiern würde, formte im Hymnen-Fragment Tinian den Begriff der Heiligen Wildnis“, weiß man in der Franz-Josef-Straße 4. Und leiht sich die Formulierung des unglücklichen Dichters als Spielzeit-Thema und als Titel für die erste Premiere aus: Heilige Wildnis ist ab 4. Oktober in der Regie von Cornelia Böhnisch und Katharina Schrott zu sehen.
Als weitere Premiere kommt nächstes Jahr, am 16. Jänner 2020, die Antigone von Sophokles in der Übersetzung von Friedrich Hölderlin auf die Bühne: „Der Salzburger Regisseur Arturas Valudskis, die deutsche Regisseurin und Puppenspielerin Katharina Kummer, sowie Katharina Schrott gemeinsam mit Felicitas Biller vom Toihaus Theater werden in halbstündigen Inszenierungen ihre Interpretation des Stücks zeigen“, heißt es zu diesem mutigen Projekt.
Weiters steht im April 2020 die Uraufführung der Bühnenfassung des Romans Die guten Tage von Marko Dinić auf dem Toihaus-Programm. Marko Dinić, 1988 in Wien geboren, verbrachte Kindheit und Jugend in Belgrad. Er studierte in Salzburg Germanistik und Jüdische Kulturgeschichte. Der Autor selbst wird gemeinsam mit der Salzburger Dramaturgin und Regisseurin Felicitas Biller die Bühnenfassung des Romans erstellen.
Wie immer im Toihaus, gibt es auch in der neuen Spielzeit ein ambitioniertes Kinderprogramm.„Wir machen Kindertheater auch für Erwachsene: Sinnlich, lieblich, gewaltig, einfach, komplex, ohne Umwege in die spannendsten Umwege mitten hinein“, sagen Cornelia Böhnisch und Katharina Schrott. Alle Stücke – für Kinder wie für Erwachsene – würden, so die Leiterinnen, frei entwickelt: „Die Genres Schauspiel, Tanz, Auftragskomposition und Musik greifen ineinander, diese Arbeitsweise macht das nur fünfzig Plätze umfassende Theater so besonders.“
Das Kinderprogramm: Der Mond tropft, ein Stück für Kleinkinder ab einem Jahr mit Tanz und Live-Musik hat am 23. November Premiere. Tempo Tempi, ein musikalisches Theater für Kinder ab drei Jahren in der Regie der japanischen Toihaus-Künstlerin Yoko Yagihara folgt ab 15. März 2020. Mit Ton in Ton entsteht im Frühjahr 2020 ein neues mobiles Stück für Kinder ab einem Jahr in Zusammenarbeit von Julia Schwarzbach, Cornelia Böhnisch und Katharina Schrott. Wiederaufgenommen werden Die Schnecke im Universum und der Klassiker Zwischen Apfel und Baum. Die Produktion Onigiri für Menschen von Zwei bis Fünf tourt im Jänner 2020 nach St. Johann in Tirol. Das Stück Vom Feinsten – poetische Sandbildergeschichten mit Musik über die Spurensuche – wird auf Japan-Tournee gehen.
Tatsächlich spielt das Toihaus eine Pionierrolle im Theater für Klein(st)kinder: „Kulturvermittlung hat einen hohen Stellenwert“, betonen die Verantwortlichen. So tourt das mobile Stück unterwegs in Kindergärten und Krabbelstuben auf dem Land. Eine „Interdisziplinäre Theatergruppe“ für Kinder von Neun bis Elf erprobt im Toihauses das Bühnenspiel. Mit „Modern Dance“ wird für versierte Erwachsene Tanztraining angeboten. Last but not least gibt das Symposion „Performance Fiction“ im Juni 2020 erstmals Gelegenheit zur Vertiefung in das Thema „Ökologie und die Künste“.