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Wir sollten alle zornig sein

LANDESTHEATER / WE SHOULD ALL BE FEMINISTS

22/09/19 We should all be feminists. FeministInnen. Ja eh. Aber wichtiger noch: Feministen, weil schließlich ist der Feminismus männlich, jedenfalls dem Duden nach. Aber blöderweise ist der Duden heutzutage auch nicht mehr das Maß aller Dinge.

Von Reinhard Kriechbaum

Was aber ist die Maßeinheit für die schweren Denk-Gewichte, die so ungleich auf die Wagschalen drücken und die Geschlechter-Balance auf Dauer in Schräglage bringen? We should all be feminists von der Nigerianerin Chimamanda Ngozi Adichie ist ein Text voller Anregungen. Ihre Rede aus dem Jahr 2012 ist keine, die stahlharte Ideologieblöcke zu einer auf steinernen Pfeilern ruhenden Argumentationsbrücke schichtet. Die 1977 geborene Schriftstellerin kommt, wiewohl in den USA akademisch ausgebildet, aus einem Erdteil, in dem das Geschichtenerzählen daheim ist. Von Begebenheiten aus ihrem Bekanntenkreis berichtet sie, sie beschreibt alltägliche Situationen, die so in jedem Erdteil vorkommen. Aus für alle Menschen greifbaren Fallbeispielen, täglich zu erlebender Nonsense-Reality, werden Gleichnisse des Gender-Wesens. Jede*n sein lassen wie er*sie eben ist und sich auch zu sein getraut – so unverschämt einfach wär's, wenn's denn ginge. Und weil es ja doch nicht geht, ein Rezept: „Wir sollten alle zornig sein.“

Schnitt. Wir sitzen in den Kammerspielen des Landestheaters. Vier junge Leute lesen und diskutieren die Rede We should all be feminists. Genauer: Sie holen sich Impuls-Sätze daraus, die sie fortspinnen und in kleine Spielszenen verwandeln. Wie könnte denn die Diskussion in der Dior-Chefetage laufen, wenn es um die Kreation eines neuen T-Shirts geht. Und wie liefe die Meinungsbildung,wenn es eine Chefinnenetage wäre? Wem überreicht der Kellner die Rechnung, wenn er – oder sie – zu zahlen wünscht? Auch bei der fünften Variante greift letzten Endes er zur Geldbörse, weil „wir sind alle soziale Wesen“, sprich: gut einzementiert in das uns eingebläute Rollenverhalten.

„Es war einmal“, so beginnen Märchen, die heutzutage wohlmeinend gegendert gehören. Es war also einmal ein junger Mensch (nicht näher zu definierenden Geschlechts), der es mit einem Drachen zu tun bekommt. Oder einer Drächin? Oder einer Drachin? Die politisch überkorrekte Episode wirkt wie ein freches Satyrspiel.

Überhaupt: Es sind die beständigen kleinen Fußangeln, die unauffällig hingelegten Gedanken-Stolpersteine, die der dramatisierten Fassung von We should all be feminists nicht wenig Witz und Pfiff und ein gehöriges Maß an Selbstironie verleihen. Plötzlich die Stimme aus dem Saalhintergrund: Maßt sich da nicht eine Gruppe von begünstigten jungen weißen Damen ziemlich frech an, mit dem Text einer engagierten dunkelhäutigen Autorin herum zu fuhrwerken? Eine Frage, die eigentlich ans Eingemachte geht: Wer bestimmt, wer über Feminismus diskutieren darf/soll/muss? Darf dem Schreiber dieser Zeilen, alte weißer Mann, der er ist, dieser Theaterabend überhaupt gefallen? Oder macht er sich selbst und das Theater damit verdächtig?

Die Ideen rund um den Text haben sich Regisseurin Sarah Henker und ihre Dramaturgin Lea Mantel ausgedacht, und das Ensemble - die Damen A und B sowie die Herren C und D – haben sich ebenfalls mit Ideen und spontanen Improvisationen eingebracht. A, B, C und D sind Janina Raspe, Tina Eberhardt, Tim Oberließen und Hanno Waldner. Was da an Gruppendynamik zwischen diesen ur-sympathischen Typen läuft, hat etwas von nächtelangen Diskussionen in einer Studentenbude der Achtundsechziger-Generation. Heutig ist es insofern, als man ohne Adorno auskommt, sogar ohne Sloterdijk. Man kann mit und ohne Ideologie viel Richtiges sagen, und sich ebenso gut in Sackgassen verlaufen.

Das Plädoyer, es immer wieder zu versuchen mit dem feministischen Ich in mir (was übrigens für beide Geschlechter und queere Varianten genau so gilt) kommt an dem erquickend direkten und ungekünstelten Theaterabend beim Publikum an. Aus dem Bühnenbild (Eva Musil) aus fleischfarbenen Kunststoff-Wänden kann man sogar eine überdimensionale Vagina basteln, in die alle neugierig hinein lugen. Was sehen sie? „Heute Abend halten wir die Unschärfe mal aus.“

Aufführungen bis 4. Dezember in den Kammerspielen – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Tobias Witzgall

 

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