Kompakte Mehrheit. Feind der Wahrheit.
LANDESTHEATER / DIE VOLKSFEINDIN
12/05/19 Bad Gastein. Golling. Zell am See-Kaprun... Thermen gibt es viele bei uns und schöne. Viel Geld wird investiert. Kein Bürgermeister wäre glücklich, würden plötzlich Giftstoffe im Thermalwasser auftauchen. Aber die Schlamperei vertuschen, die Gesundheit der Menschen dem Profit opfern und den Überbringer der schlechten Nachricht ruinieren?
Von Heidemarie Klabacher
„Unwillkommene Tatbestände sind von einer unbeweglichen Hartnäckigkeit, die durch nichts außer der glatten Lüge erschüttert werden kann“, sagt Hanna Arendt. Der unwillkommene Tatbestand in Henrik Ibsens Stück Der Volksfeind ist Gift im Thermalwasser des aufstrebenden Kurorts. Sanierungskosten in Millionenhöhe, Imageverlust und wirtschaftlicher Niedergang des gerade erblühenden Gemeinwesens drohen.
Dr. Thomas Stockmann, Badearzt, Ehemann und Vater einer erwachsenen Tochter und zweier halbwüchsiger Söhne bei Henrik Ibsen, wie auch Dr. Katrine Stockmann, Badeärztin und alleinerziehende Mutter einer erwachsenen Tochter in der „Salzburger Fassung“ glauben tatsächlich, ihrer Stadt einen Gefallen zu tun, indem sie nachweisen, dass das erst jüngst in einem Heilbad gefasste Thermalwasser hochgradig verseucht ist. Der Bürgermeister - Peter Stockmann ist der ältere Bruder und der Arbeitgeber – zeigt eindrucksvoll, wozu so ein Dorfkaiser imstand ist.
Die Besetzung der Rolle Doktor Stockmanns mit einer Frau sorge für ein „ausgewogenes Geschlechterverhältnis“, heißt es zur „Salzburger Fassung“ für das Landestheater von Regisseurin Amélie Niermeyer und Frank Max Müller. Das „heutzutage“ manche Frau Ärztin wird, nicht jede Familie aus Mutter, Vater, Kind besteht und manche Männer manche Frauen nicht ausreden oder am liebsten gar nicht erst zu Wort kommen lassen, sind freilich eher dürftige frauenpolitische Erkenntnisse. Dafür ist auf der Bühne ein (fast zu) hoher Preis zu zahlen: Dem problematischen Charakter Stockmanns, der/die sich immerhin zur Aussage versteigt „Ausgerottet wie Ungeziefer gehören alle, die der Lüge leben“, gewinnt die Darstellung durch eine Frau keine zusätzlichen Facetten ab. Tatsächlich gehen durch radikale Striche besonders im vierten Akt viele Facetten dieser zwischen reinem Toren und gewaltbereitem Kohlhaas reizvoll changierenden Figur verloren.
Das Publikum im Landestheater gewinnt dennoch – und zwar durch das Gastspiel von Juliane Köhler als Badeärztin und Kämpferin gegen unmoralische Profitgier. Köhlers leise wie laute Einlassungen sind die schauspielerischen Höhepunkte der Produktion. Auswandern? In die USA? „Da will doch keiner mehr hin. Ich mache weiter. Das Schlachtfeld ist hier.“ Leider zwingt die StückfFassung Katrine Stockmann dazu, den Gang vor Gericht anzukündigen. Zu gerne hätte man diese grandiose Darstellerin sich am grotesk-tragischen Wahn des/der „echten“ Stockmann abarbeiten sehen. So bleibt statt messianischem Wahnsinn nur die trostlose Aussicht auf endlosen Instanzenweg.
Unterhaltsam ist der vierte Akt, die große Bürgerversammlung an deren Ende Stockmann zur Volksfeindin erklärt wird, als Talk Show im Privatfernsehen. Auf Ibsen wird hier verzichtet. Thomas Huber, ein Gast vom Münchner Residenztheater, der maßgeblich für den Text dieses Aktes zeichnet, legt einen fulminanten Auftritt als schmieriger Macho-Moderator hin. Er ist kaum in Schach zu halten durch Nikola Rudles pipsige Online-Korrespondentin Nikki - eine durchaus mehrdimensionale Figur, die zwar Redezeit für Frau Stockmann einfordert, mit Manipulation und alternativen Fakten dennoch nur für die Quote quasselt.
Die Medien kommen (wie schon bei Ibsen) schlecht weg: Marco Dott kämpft als Journalist Billing auf verlorenem Posten für Wahrheit und gesellschaftlichen Umsturz, wogegen Max Koch, auch er vom Münchner Residenztheater, als Redakteur Hovstadt mit den Wölfen heult und Karriere macht. Christoph Wieschke als Bürgermeister Peter Stockmann ist auch als Fiesling vor allem ein netter Kerl. Britta Bayer in der Rolle der Frau Magistra Vorsitzende der Hausbesitzervereinigung könnte jeder Salzburger Bürgerinitiative mit Gewinn vorstehen. Anna Seeberger gibt loyal aber wenig textverständlich die Tochter Petra Stockmann.
Der erste Akt ist eine Art Bürgerversammlung auf der, unter mehrheitlichen Verzicht auf Artikulation und Textverständlichkeit, aktuelle Salzburger Probleme mit Overtourism und Reisebusplage abgehandelt werden. Das im ersten Akt Ibsen servierte Rindfleisch im Hause Stockmanns hätte nicht zäher ausfallen können, als diese witz- und ironiefreie „Aktualisierung“. Für fehlende Ironie entschädigt das auf der Hinterseite wohltuend abstrakte Gestänge des Bühnenbildes von Maria-Alice Bahra, auf dessen Vorderseite sich die norwegisch-salzburgische Provinz von ihrer schönsten Seite zeigt.
Die Volksfeindin nach Henrik Ibsen – sechs weitere Aufführungen im Landestheater bis 8. Juni, die erste davon heute Sonntag (12.5.) - www.salzburger-landestheater.at
Bilder: LT/Anna-Maria Löffelberger