Scooter-Hase. Nicht-Geburtstag
SCHAUSPIELHAUS / ALICE
18/12/18 Alice fällt in ein tiefes Loch, landet aber nicht in schwarzer Depression, sondern im knallbunten Land des rastlosen Kaninchens, der regenbogen-farbigen Katze und der blutrünstigen Königin. Kunterbunt wie die Fantasie ist die Kinderproduktion Alice im Schauspielhaus.
Von Heidemarie Klabacher
Ein wenig atemlos wird man als älteres Semester schon, wenn das rasende Kaninchen auf seinem Scooter zu Vollbremsung und Crash ansetzt um sogleich – nach atemlosem Gruß samt Verbeugung, Handshake und Zylinderziehen – seine Amokfahrt von Nirgendwo nach Nirgendwo wieder aufzunehmen. Worauf klein Alice stammelt: „Die sind ja alle verrückt hier“ und die regenbogenfarbige Grinsekatze antwortet: „Das habe ich dir ja gleich gesagt.“
Alice im Wunderland ist ein Klassiker, den man immer wieder lesen kann, ohne je allen Sprachspielen und Anspielungen im englischen Original auf die Schliche zu kommen. Genauso gerne erlebt man die Geschichte aber auch in bunten Bildern auf der Bühne. Vor allem wenn die Farben so knallneonbunt und zugleich streng reglementiert und die Formen so üppig und zugleich scherenschnittartig abstrakt sind, wie in der aktuellen Kinderproduktion in der Ausstattung von Isabel Graf im Schauspielhaus. Robert Pienz hat die Regie seines am 24. Oktober mit nur 49 Jahren verstorbenen Oberspielleiters Christoph Batscheider übernommen.
Wie es sich für die phantastischen Erlebnisse des braven Mädchens Alice, dem es in der realen Welt so langweilig ist, gehört, setzt die Produktion mit ihrer Ankunft am Boden den Zauberbrunnens auf Tempo – ohne in Atemlosigkeit zu verfallen. Es ist ein so witziger wie kluger Kunstgriff: Wenn sich die regenbogenfarbige Grinsekatze hoch oben im Baum genussvoll räkelt und sich geradezu in Schlangenmanier um ihren Ast in die nächste bequeme Position ringelt, scheint die Zeit stehen zu bleiben, während unten das Kaninchen seinen rastlose Show abzieht: Man meint wirklich, sich auf zwei Zeitebenen gleichzeitig zu befinden. Und das ist für eine Kinderproduktion schon ein sehr spitzfindiger Effekt.
Den Kindern wird das freilich Wurscht sein. Die Begegnung mit Märzhase und Hutmachter, mit der mordlüstigen Königin und ihrem schmalbrüstigen Herzbuben ist witzig genug. Natürlich bleiben in einer Bühnenfassung von Lewis Carrolls Meisterwerk die meisten der scharfzüngigen (natürlich auch zeitgebundenen und daher oft kaum zu durchschauenden) Wort- und Sprachspiele auf der Strecke. Man ist ja kein Philologen-Seminar im Kindertheater. In der Regie von Batscheider/Pienz bleibt viel Sprachwitz erhalten.
Julia Rajsp, Sophia Fischbacher, Raphael Steiner und Tim Erkert spielen jeweils zahlreiche Figuren, sei es Blume, Maus, Hutmacher oder Herzbube. Julian Dorner ist als weißer Hase so rastlos wie höflich, Jakob Kücher ein geradezu über-sinnlicher Grinsekater.
Und Alice? „Liebevoll und sanft wie ein Rehkitz, höflich zu jedermann, gleich ob Nobler oder Bettelmann – Alice ist neugierig und so voller Lebenslust, wie es nur jemand sein kann, der in den glücklichen Stunden der Jugend lebt, und für den Sünde und Leid nichts weiter sind als Worte, leer und unbedeutend.“ So hat sich der Autor Lewis Carroll (1832-1898) seine Figur auf der Bühne vorgestellt. Und gegeben hat es Alice tatsächlich: Lewis Carroll, ein befreundeter Pfarrer und drei kleine Mädchen machten anno 1862 in Oxford einen Bootsausflug, als es einem der Mädchen langweilig wurde. Carroll begann auf der Themse jene Geschichte zu erzählen, die heute nach der Bibel und dem Koran zu den meist-zitierten Büchern der Weltliteratur gehört.
Aber Alice? Nun, die Salzburger Alice schaut genauso aus, wie man sie aus den allerersten illustrierten Ausgaben kennt, sie ist genauso reizend und lebenslustig und höflich wie Carroll sich seine Oxforder Heldin gewünscht haben mag. Wir behaupten jetzt einfach: Helena May Heber ist als Salzburger Alice noch viel höflicher, lebenslustiger und reizender.