Das endlose Kleid
DAS LICHT IM KASTEN / KAMMERSPIELE / ELFRIEDE JELINEK
19/11/18 „Die Natur würde, überließe man ihr die Entscheidung, lieber aus Kunststoff sein, damit sie nicht unter unseren Tritten verrotten müsste.“ Gegen Elfriede Jelinek kann man sich nicht wehren. Ihr spätes Stück Das Licht im Kasten ist ein Versuch, die Sprache der Mode zu sprechen, eine Übersetzung zwischen Textur und Text.
Von Franz Jäger-Waldau
Die Sprache der Mode umschreibt Roland Barthes als „endloses Kleid“. Seine Bedeutung ist die unendliche Erzählung der Rede über Mode. Die Mode ist gleichzeitig zeitlos, weil sie kein Ende findet und unendliche viele Enden hat. Das „endlose Kleid“ ist also nicht mehr als eine Spur über dem nackten Körper, seine wallende Textur ist aus Sprache und Stoff gewoben: Sie verbirgt und entbirgt nahtlos Körperteile, damit die Teile sich nicht wieder zu Körpern binden. „Der Körper ist sozusagen das Gegenteil der Mode, weil er eben das letzte ist, das die Mode sieht“, schreibt Jelinek und hat auch noch recht.
Die Inszenierung der Kammerspiele beginnt mit Licht. Im Bühnenkasten erblüht eine teletubbie-esque Idylle, ein persifliertes Paradies. Es gibt keine Farben, es gibt nur Weiß; es gibt zwar Äpfel, aber keine Schlange, es gibt keine Rollen, es gibt Stimmen. Die Rolle ist eine Frage der Kleidung, die Kleidung eine Frage der Mode. Sie überzieht die Körper willkürlich mit Charakteren: Aktivisten, Polizisten, Kapitalisten und Narzissten. Zweigeteilt wird die Bühne durch einen länglichen Podest mit Doppelfunktion: Dort laufen Waren auf den Fließband - und auf dem Laufsteg ebenfalls. Kleidung kommt und Kleidung geht, dazwischen und darunter vermutet man Menschen. Bei allem findet das Ensemble der Kammerspiele den Mut, sich die Freiheit zu nehmen, die ihm der Text gibt: Das Licht im Kasten schreibt keine Sprechrollen oder Gliederungen vor, Jelinek fördert pures Textmaterial. Ihr strenges kompositorisches Prinzip, oftmals als brutale „Sprachwucht“ verkannt, kommt ganz ohne Regieanweisungen und Erklärungen aus. Die Inszenierung geht mit dieser Ladung zumeist sorgfältig um, leistet sich höchstens Umstellungen und sporadische Hinzudichtungen. Ihr gelingt sogar, die Ohnmacht der Kritik, und damit der eigenen Form, aufzuzeigen: Dekonstruktionsversuche werden von der Mode umgewendet und in ihre Textur eingeflochten. Nicht in Mode zu sein, ist in Mode. Das Licht im Kasten ist kein Licht der Erkenntnis, weil die Kleidung den Körper davor schützt. Jelineks dunkle Ironie verleitet leider aber auch hier zur Verdünnung des Ausdrucksspektrums: Das Lachen braucht Lächerlichkeit, was ernst ist, muss geschrien werden. Damit bleibt die Inszenierung mit ihrer Oberflächenkritik selbst an der Oberfläche. Gelungen ist dagegen der Investiturstreit zwischen Sein oder Schein – und die Schilderung des ontologischen Dilemmas des „Schein oder Nichtsein“, denn das Geld regiert auch diesen Diskurs. „Schiebe ich die Kleidung zwischen mich und das Nichts, damit ich dableiben kann, ohne dass man merkt, dass ich da war?“ Ein von Walter Sachers kühn vorgetragener Schlussmonolog endet im modischen Tabu der Nacktheit. Wo vom Nichts im Inneren nicht mehr durch alles Äußere abgelenkt werden kann, führt die Flucht vor dem Licht im Kasten den Verschnitt, den Menschenkörper, in den leeren Kleidersack.