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Clownerie um Macht und Leben

SCHAUSPIELHAUS / DIE PHYSIKER

05/11/18 „Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.“ Das aalt bekanntes Zitat ist aktueller und brisanter denn je, angesichts modernder Bedrohungen durch künstliche Intelligenz, technisch manipulierte Körper oder die Möglichkeiten der Totalüberwachung.

Von Erhard Petzel

Klassiker überdauern ihre Entstehungszeit, wenn der Kontext ihrer Fragestellungen weiterhin vermittelt werden kann und sich Anknüpfungspunkte zu aktuellen Problemstellungen ergeben. So bleibt Dürrenmatts Drama im heutigen Bewusstseins-Breitband ein Segment im Spektrum der Aktualität. Die Problemstellungen haben ihre Relevanz nicht eingebüßt, wobei diese vielleicht nur nicht mehr so heftig rezipiert wird. Da Dürrenmatts Physiker grundsätzliche Fragestellungen aufwerfen, können sie aber immer noch den Anspruch auf Gültigkeit stellen, zumindest aber als Denkschule für den Schulgebrauch taugen. Die Aussage der Figur Möbius, „Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden“, dem Programmheft als Motto vorangestellt, erfährt angesichts der Web-Intelligenz überwältigende Brisanz.

Regisseur Peter Raffalt bringt das Stück ohne Pause in seinem zeitlichen Kontext auf die Bühne. Dabei verschärft er die Idee einer Commedia um die Elemente der dell’arte. Kristina Kahlert als Krankenschwester und Richard Voß als Inspektor kommen grell überdreht daher. Die Begegnung Möbius‘ mit seiner Familie wird zur komischen Clownerie. Die Lächerlichkeit der „Normalen“ wirkt mit grober Klinge überzeichnet gegen die der verrückt Spielenden, was zum deutlichen Stilbruch führt, wenn die drei Physiker sich voreinander zu erkennen geben und die Problematik ihres Wirkens und Seins abhandeln.

Dennoch wirkt der Gesamteindruck abgerundet - Dank des Schlussmonologes des verrückten Fräuleins Doktor Mathilde von Zahnd. Susanne Wende spielt die versehrte Irrenhaus-Leiterin quasi als bewegungsgestörten und scheppernden Cyborg, womit wohl die Adaption des Symbolgehalts der Rolle auf die heutige Technologie umgesetzt werden soll. Olaf Salzer und Antony Connor spielen ihre Rollen als Beutler und Einstein lustvoll aus. Theo Helm gibt seinem agilen Möbius breiten Spielraum und die notwendige Tiefe.

Das Clowneske erleichtert auch die Doppelbesetzungen im Ensemble, das vor einem kühl-stimmigen und funktionellen Bühnenbild agiert: Die gesamte Ausstattung von Agnes Hamvas ist angenehm nüchtern angelegt und unterstreicht damit das Ambiente des Ortes. Die Morde geschehen hinter der Bühne, sichtbar als Schattenspiel; die entsprechende Kulissenwand verschwindet hinter der vorfahrenden Rückwand am Schluss, als sich die Physiker als Gefängnisinsassen festgesetzt sehen und damit jeden Spielraum verlieren. Die Musik Georg Brenners entspricht in ihren kargen Effekten dem optischen Raum und legt diverse Defekte der Figuren assoziativ nahe.

Stellt das Theater die relevanten Fragen? Die Inszenierung verweigert jedenfalls die Antwort, ob es diese Menschheit wert sei, dass man sich für ihre Rettung engagiert. Der Tanz am Abgrund des atomaren Overkills währt inzwischen schon wieder Generationen. Täglich klappen neue potentiell apokalyptische Felder auf. Die mediale Wahrnehmungsmacht zeigt uns wahnsinnige Eliten, vieles an systemischem Wahnwitz bleibt verborgen. Wer Kinder hat, hofft auf die Überlebenskraft des Kollektivs, die den Irrsinn mit Methode im vitalen Chaos ausgleicht. Auf dass der kräftige Applaus der Massen immer dem Leben gilt und das große Ende dem Stück auf der Bühne.

Die Physiker – Aufführungen im Schauspielhaus bis 22. November und dann wieder ab 8. März 2019 - www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: SSH / Jan Friese

 

 

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