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Warum mordet Hamlet nicht?

LANDESTHEATER / HAMLET

08/10/18 Der erste Todesfall war Pech. Der Tod des Freundes beim Fechtkampf geht auf das Konto des Thronräubers Claudius. Wie auch der ebenfalls versehentliche Gifttod von Hamlets Mutter, welche den Gatten- und Brudermörder Claudius allzu rasch geheiratet hat. Warum Hamlet seine Ophelia mit maximaler Grausamkeit in Wahnsinn und Selbstmord treibt, bleibt Geheimnis des Prinzen von Dänemark.

Von Heidemarie Klabacher

Es ist ein zeitloser Königshof. Das Braun der bronze-schimmernden Schiebewände mit ihren unzähligen Türen und Öffnungen, die immer wieder neue Aus- und Einblicke ins Innerste des Palastes und seiner Bewohner gewähren, entspricht dem eleganten Lüster des braunen Seidenanzugs von König Claudius: Im überzeitlichen Setting des Bühnenbildners Raimund Orfeo Voigt fließt sogar das viele Blut mit Understatement. Weitgehend unbefleckt bleiben die zeitlosen Anzüge der Männer. Die unaufdringlich das Flair des 20. Jahrhunderts verströmenden Outfits, die Kostümbildnerin Johanna Lakner für Königin Getrude entworfen hat, bleiben unzerknittert, auch wenn dieser ausgerechnet Ophelia in einem verzweifelten Gewaltsausbruch an die Wäsche geht.

Ophelia ist in der aktuellen Salzburger Produktion Trägerin einiger Leitmotive, die das sterile Setting ins Menschlich-Tragische kippen lassen, etwa der verhängnisvollen Flasche, die ihr Königin Getrude zunächst nur zur Beruhigung aufdrängt, oder des Briefes, den Hamlet Ophelia in den Mund stopft. Die psychisch zerstörte Ophelia wird diese brutale Geste wiederholen.

Sind vielleicht auch die anderen Figuren Menschen aus Fleisch und Blut, wie sie da auf der Bühne des Landestheaters in der Inszenierung von Alexandra Liedtke fassungslos miterleben, wie Prinz Hamlet den Verstand verliert. Wie er seinem scheinbaren Wahn immer dreister die Wahrheit in immer obszöneren Versen spricht und mehr zur Gefahr wird für den Königsmörder Claudius und seine Gemahlin, die Witwe besagten ermordeten Königs. Claudius‘ Versuch, die von Hamlet ausgehende Gefahr mit weiterer Intrige und immer rücksichtsloserer Gewalt abzuwehren, fordert immer mehr Opfer. Eine tödliche Spirale wird unerbittlich angezogen.

Dabei hätte es doch nur ein einziges Todesopfer gegen sollen. Nämlich – und damit ist man beim irrationalen Ausgangspunkt der Tragödie – den Thronräuber Claudius selber. Hat doch der Geist von Hamlets Vater den Sohn zur blutigen Rache aufgefordert. Vielleicht ist Hamlet aber auch einfach „gestört“ und hat sich alles nur eingebildet? Jedenfalls bekommt im Landestheater durch den (einen fetten nackten Dickbauch vor sich hertragenden) Königsgeist einen irrationalen Drive, was sonst bloß eine überzeichnete realpolitische Satire wäre.

Regisseurin Alexandra Liedtke hat das Personal reduziert. Etwa zwischen 18 und 26 schwankt die Zahl der Figuren in den verschiedenen Hamlet-Ausgaben. Im Programmheft des Landestheaters (wie übrigens auch in der seit 2008 an der Berliner Schaubühne gespielten Inszenierung von Thomas Ostermeier) bleiben sechs zentrale Figuren übrig, die denn auch teils Text von anderen Figuren übernehmen. Rosencrantz und Guildenstern oder Horatio vermisst man durchaus schmerzhaft. Eine Lücke im dichten Handlungsgeflecht hinterlässt die Abwesenheit des jungen Fortinbras von Norwegen, dem das Königreich Dänemark nach der Selbstausrottung der Herrscherfamilie kampflos zufällt. Wie Polonius, kaum verstorben und begraben, im nächsten Moment als Totengräber aufersteht, hat Witz.

Die sechs verbliebenen Darstellerinnen und Darsteller transportieren den kahlgeschorenen Plot mit energiegeladener Präsenz. Gesprochen wird in allen Partien mit Bedacht. Immerhin hat man sich nicht für eine moderne, sondern für die „klassische“ Übersetzung von August Wilhelm Schlegel entschieden. Dem fremden Idiom begegnet das Team mit Respekt und daraus resultierender erfreulich guter Textverständlichkeit und Intensität.

Für das Theater auf dem Theater – eine fahrende Truppe soll die Ermordung des Königs nachspielen und dadurch Claudius Zeichen von Schuldeingeständnis entlocken – hat man den Puppenspieler Simon Buchegger mit zweien seiner Puppen engagiert: Mit viel Gewinn im Atmosphärischen, an dem es der glatten Yuppie-Kulisse naturgemäß fehlen muss. Tatsächlich befindet man sich eher in einer aus dem Ruder gelaufenen Familien-Aufstellung oder in einer leicht chaotischen Aufsichtsratssitzung, denn in einem Königsdrama.

Doch auch bei aller Kürze des geschorenen Plots hält die Spannung, auch wenn diese Lesart keinen Lösungsvorschlag etwa für das jahrhundertealte Rätsel um Hamlets Zögern vorlegt.

Eher abstrakte Typen denn Rollenporträts, lassen die Darstellerinnen und Darsteller Menschliches durch die Hintertür herein: Gregor Schulz als Hamlet, der vor aller Augen zerbricht an der Spannung zwischen dem Zwang zum Handeln und dem Grauen von der Gewalttat; der für seinen Part noch sehr junge Christoph Luser als ein Claudius ebenfalls an der Grenze der psychischen Gesundheit; Britta Bayer als eine Gertrude wie aus Stein gemeißelt; Walter Sachers als geschwätziger Polonius und tiefsinniger Totengräber; Hanno Waldner als wunderbar typengerechter Laertes und Genia Maria Karasek, als Ophelia, die den Menschen aus Fleisch und Blut vertritt. Sie alle vermitteln anschaulich und eindringlich, dass auch im Staate Dänemark etwas ganz furchtbar faul ist.

Hamlet – weitere Aufführungen im Landestheater bis 24. Februar - www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Anna-Maria Löffelberger

 

 

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