Reformations-Panorama
ODEION / JOVITA DERMOTA
14/11/17 Jovita Dermota gastierte im Salzburger Odeion. Ein handverlesener Kreis lauschte auf der Bühne ihrer faszinierenden Lesung zum Luther-Jahr. Dazu gab es Improvisatorisches auf der Posaune von und mit Sebi Tramontana. Knapp eineinhalb Stunden vergingen wie im Flug.
Von Gottfried Franz Kasparek
Jovita Dermota ist eine Schauspielerin, die besonders gerne ihre eigenen Abende kreiert und die Kunst beherrscht, mit ganz wenigen Mittel eine ganze Welt plastisch erscheinen zu lassen. Sie sitzt einfach am Lesetischchen, im Kranz ihrer weiß leuchtenden Haare. Wer ihren Vater, den großen Tenor Anton Dermota, noch auf der Bühne erlebt hat, erkennt nicht nur die äußerliche Ähnlichkeit der Tochter, sondern auch ein spezielles Charisma, das in der Einfachheit wirkt.
Jovita Dermota schlüpft mit feinen stimmlichen Modulationen in die verschiedenen Rollen. Sei es der komplizierte, von Sendungsbewusstsein getriebene Doctor Martin Luther, sei es dessen pragmatisch tatkräftiger Freund Melanchthon, sei es der klug abwägende Albrecht Dürer, sei es der Nürnberger Humanist Pirckheimer oder dessen Schwester Caritas, Äbtissin eines Klosters in dunkler Zeit, sie alle erscheinen auf einer imaginären Bühne. Auch Hans Sachs tritt sozusagen virtuell auf und singt von der „Wittenbergisch Nachtigall“, die entlaufene Nonne Katharina von Bora berührt als Luthers gescheite Frau, Erasmus von Rotterdam zeigt zynische Züge eines abgehobenen Gelehrten und der Sozialrevolutionär Thomas Müntzer verliert in der Tat seinen radikal denkenden Kopf.
Martin Luther hat die Welt verändert, dies lässt sich nicht bestreiten. Dass er das Christentum nicht spalten, sondern bloß reformieren wollte, dass er beredt Ängste vor dem 1529 schon vor Wien stehenden türkischen Glaubenskriegern formulierte, dass er die aus sozialer Not brandschatzenden Bauern im Stich ließ und zu den oft grausamen Mächtigen hielt, dass sein bestürzender Antisemitismus gepaart war mit dem Eifer, die Juden zu missionieren – all diese ambivalenten Seiten, diese Ecken und Kanten eines bedeutenden Menschen und Reformators lässt Jovita Dermota in ihrem Abend „Fundstücke – Rund um Luther“ souverän Revue passieren. Und dies mit nur wenigen, aber erhellenden historischen Bemerkungen. Vor allem erklingen die Stimmen von damals, aus Briefen, Episteln, überlieferten Predigten. Mitunter klingen die Stimmen wie von heute. Das 16. Jahrhundert war eine verwirrte, angstvolle Zeit, die dennoch Neues und wesentliche Grundlagen der Moderne schuf.
Dazu kommt der Posaunist Sebi Tramontana, ein virtuoser Zauberer auf seinem Instrument, dessen Klangsprache irgendwo zwischen sehr alter und sehr neuer Musik, Madrigal und Jazz angesiedelt ist. Fabelhaft, was er zwischen herrlich schrägen, geblasenen Tönen mit seiner Stimme macht, wie er dem Abend mit seinen Zwischenspielen zusätzliche Atmosphäre gibt.