Wie das Volk kurz denkt
OPEN MIND FESTIVAL / RABTALDIRNDLN
10/11/17 Gleich vorweg: Der Schreiber dieser Zeilen erklärt sich für absolut unzuständig. Was die Rabtaldirndl als szenische Eigenproduktion zum Open Mind Festival in der ARGkultur sehen lassen, ist Zielgruppentheater für ein denkbar eng gefasstes Publikumssegment.
Von Reinhard Kriechbaum
Also: Der Rezensent ist nicht zwischen 25 und 35. Er ist nicht in einem Dorf geboren und später in die Stadt gezogen. Er wählt zwar rot/grün, aber er ist keine Frau. Das ist das schwerwiegendste Defizit. Dass man ab einem gewissen Alter ans Theater Qualitäts-Mindeststandards stellt, ist auch eine Sache. Die Rabtaldirndln, regiemäßig angeführt von Ed Hauswirth, lösen mit ihrer neuen Produktion „Abreissen“ solche Mindesterfordernisse nicht annähernd ein: Früher hat man zu derart inbrünstiger Dauer-Grimassenschneiderei einfach Schmiere gesagt. Dem jüngeren Open-Mind-Publikum ist das Wort möglicherweise nicht mehr geläufig. Es ist kein Kompliment.
Aber vielleicht will das Ganze eh nicht wirklich Theater sein. Die Rabtaldirndln machen ihre Stücke selbst. Sie bringen sich selbst, ihre ländliche Herkunft und ihre Sicht auf die Dinge mit Leidenschaft und hemmungsloser Überzeugung ein. Dass sie mit „Abreissen“, einer „Haltungsschau“, das Stadt/Land-Gefälle in Sachen politischem Verständnis aufdröseln wollen, haben sie in einem Pressegespräch vorab recht vernünftig zu erklären gewusst. Tumbes, blau wählendes Land kontra intellektuelle, nach links sich orientierende Stadt: So einfach sei die Chose nicht. Ist sie auch wirklich nicht – und genau das hätte man gerne gesehen an diesem siebzigminütigen Abend.
Eine Modeschau. Statt Mode tragen die in fleischfarbene Trikots gekleideten vier Damen Leitbilder und Schlagwörter vor sich her, geschrieben auf umgehängte Papierschleifen. Was man halt so ist als jüngere Dorffrau: Radfahrerin, Busfahrerin, Beifahrerin; ältere Schwester, Nachzüglerin oder gar Gottesgeschenk. Wenn man's weniger gut trifft, kommt die „schöne Schweinerei“ mit dem Mechaniker auf und man wird geächtet. Wählt man dann blau?
Zugegeben: Die Rabtaldirndl wissen wahrscheinlich besser als unsereins, wie „Countrymen“ und „Countrywomen“ ticken. Da möchte der ältere Herr aus der Stadt den Augen- und Seelenzeuginnen nicht widersprechen. Aber gewusst hätte er schon gerne, wie und warum genau sie so ticken, wie es die Rabtaldirndln grell überzeichnend darstellen. Und es wäre auch genug Zeit für vertiefende Gedanken gewesen, wenn man ein bisserl was vom knochentrocken dozierten Text, der auf ach so authentischer Eigenerfahrung beruht, weggelassen und sich eine Perspektive-Stufe höher gestellt hätte. Kopf-Schau statt pseudo-intellektueller Nabelschau, das wäre vielleicht ein Ansatz.
So aber hat man „Volkstheater“ auf Augen- und Gedankenhöhe eines imaginären „Volks“ erlebt, das sich vermutlich wenige im ARGEkultur-Publikum wirklich vorstellen können und noch weniger vorstellen mögen. Immerhin eine nicht ganz unwichtige Gedanken-Verschiebung. Aber es bleibt letztlich bei einer Sammlung hingeknaller Phrasen und Schlagwörter von Biertischgesprächen und Wahlkampfplakaten. Wie denken die Rabtaldirndln? Hoffentlich nicht so, wie sie sich ausziehen. Halb.