Vom Müllschlucker bei Messina und anderen Hindernissen
KLEINES THEATER / MAZAB / ODYSSEE / URAUFFÜHRUNG
06/05/10 Poseidon hat ein Image-Problem: „Ich sage nur Tsunami“, murrt düster der Erdbeweger mit der schwarzen Mähne. Dabei schaut er wirklich ganz harmlos aus, der Meeresgott, wenn er - in Wirklichkeit glatzköpfig - am Strand von Ithaka sitzt, wie ein Tourist aus dem Ruhrgebiet, und Würstel grillt.
Von Heidemarie Klabacher
Was Odysseus vom Meeresgott zu erwarten hätte, wenn er ihm nach zehn Jahren Krieg um Troja und weiteren zehn Jahren Irrfahrten zu guter Letzt am Strand von Ithaka leibhaftig in die Hände fiele? Das wollen wir uns lieber nicht vorstellen. Oder projiziert Poseidon doch nur seinen Groll auf die Menschen allgemein - „Sie lieben das Meer im rotgoldenen Sonnenuntergang. Aber wehe, die Wellen türmen sich“ - stellvertretend auf Odysseus? Freilich: Der "Listenreiche" hat seinerzeit dem Riesen Polyphem das Auge ausgestochen, mit einem zugespitzten Knüttel aus Olivenholz. Und Polyphem ist nun einmal ein Sohn des Meeresgottes Poseidon.
Aber wie die vernunftgeborene Athene betont: „Er hat sich doch vor Polyphem nur schützen wollen. Das war doch nur Selbstverteidigung.“ Nicht einmal ein Odysseus könne alle Kinder der Götter kennen, argumentiert Athene am Strand von Ithaka, gegenüber ihrem Onkel. Doch auch Poseidon hat nicht unrecht: Wenn er dem Sohn des Odysseus ein Auge ausgestochen hätte, die negative Presse wäre enorm: „Der Tsunami wäre eine positive Image-Kampagne dagegen…“
Es ist ein erstaunlich leichtfüßiges Unterfangen, diese „Odyssee“ des Ensembles Mazab, die am Dienstag (4.5.) im Kleinen Theater Uraufführung und Premiere hatte. Mit dieser Produktion setzt das Theaterkollektiv seine „Expeditionen“ fort: nach den Wirrungen des „Second Life“ nun in den Irrungen der Weltliteratur: Markus Steinwender kennt seinen Homer. Er hat den Text erstellt und die antiken und spätantiken Stoffe nicht als „Steinbruch“ verwendet. Vielmehr hat er exemplarisch ausgewählte - und daher unglaublich wirkungsvolle - Originalstellen mit ganz normaler Gegenwartssprache verwoben. Entstanden ist eine berührende, aber immer wieder auch ironisch gebrochene überzeitliche Gesichte vom „Warten“.
Penelope, Odysseus getreue Witwe, Telemach, der Sohn, den der abwesende Held nur als Säugling gekannt hat, die Nymphe Kalypso, mit der der Irrende sieben glückliche Jahre verlebt hat (mehr als mit Ehefrau Peneolope), die Zauberin Kirke, die eine ebenfalls hocherotisch aufgeladene gemeinsame Zeit mit dem Helden verbindet: Sie alle warten. Auf Odysseus. Auf eine mit übermächtigen Erwartungen, Sehnsüchten und Projektionen beladene Heldenfigur. Allein das Szenario von Telemach, der sich eine Phantasie von glücklicher Familie - „Nur wir drei“ - mit Kalpyso und Odysseus zusammenträumt, lässt hoffen, dass dem Listenreichen noch ein paar Umwege einfallen. Gnade ihnen allen Gott oder Göttin, wenn Odysseus wirklich kommt…
Vor zehn Jahren jedenfalls hat man das Partyzelt zum Willkommensfest aufgestellt: Der Krieg um Troja, war endlich ausgestanden, es hätte nicht mehr lange dauern dürfen. Aber wie in anderen Zeiten und Kulturen auf Godot, wird am Strand vom Ithaka auf Odysseus gewartet: Vergeblich. Von den Zeltstangen flattern zerrissene Plastikfetzen.
Markus Steinwender liefert keine gespielte Nacherzählung - wiewohl einzelne Abenteuer, etwa das mit den Menschenfressern, mit einfachsten Mitteln plastisch dargestellt werden: Eine zerquetschte Wurst vom Grill und ein wenig Ketchup reichen weitaus, um das Grauen beim Festmahl der Lästringonen aus der Verdrängung zu holen.
Mit großem Gespür für Text und Timing tauchen im Partygeschwätz und den Sehnsuchtsmonologen der Wartenden also Originalpassagen (deutsche natürlich) aus der Odyssee auf: Das sind die Augenblicke, in denen die stagnierende Zeit in Fluss kommt und die Überzeitlichkeit dieser Menschheitsgeschichten deutlich wird.
Dorit Ehlers (Athene), Elisabeth Nelhiebel (Penelope), Hildegard Starlinger (Kalypso), Torsten Hermentin (für den erkrankten Thomas Beck eingesprungen als Telemach), Markus Zett (Freier) und Peter Malzer (Poseidon) haben in der Regie von Markus Steinwender eine brillante Ensembleleistung hingelegt: Sie haben der Psychologie des Wartens Spannung und eine mitreißende Sogwirkung verliehen. Scylla nichts dagegen.