Maskierte Schweine an der Macht
LANDESTHEATER / KAMMERSPIELE / FARM DER TIERE
19/01/17 Dass „die da oben“ ohnehin alle Schweine sind, gilt aktuell wieder für viele als ausgemachte Sache. Wie es jedoch enden kann, wenn wortgewandte Verführungskünstler diese Stimmung zur Revolution im Namen der Unterdrückten nützen, zeigt das Salzburger Landestheater in seiner neuen Inszenierung von George Orwells „Farm der Tiere“ in den Kammerspielen.
Von Christoph Pichler
Der Verlauf der Handlung ist ebenso rasch erzählt wie in den Grundzügen bekannt: Auf einem mit harter Hand und hartem Herz geführten Bauernhof übernehmen die Tiere das Kommando und wollen fortan nur mehr für ihr eigenes Wohl arbeiten. Die Idylle ist jedoch nur von kurzer Dauer, denn die neuen Machthaber (nun sind es tatsächlich Schweine, die alle Fäden in der Hand halten) genießen ihre Rolle zu sehr, um sich an die ursprünglich selbst auferlegten Regeln zu halten. So entwickelt sich der vermeintliche Modell-Bauernhof schnell zum Ausbeuterbetrieb, der in seiner zynischen Selbsterhaltungslogik nun selbst über Tierleichen geht.
Wie schlimm die Zeit unter der Herrschaft des Bauern gewesen sein muss, lässt sich in der Inszenierung von Oliver Wronka nur erahnen, denn eigentlich ist er kaum zu sehen. Bei seinen Kurzauftritten torkelt der Landwirt nur fröhlich „Old MacDonald had a farm“ singend über die Bühne und schwingt dabei schon einmal einen vollen Bierkrug, während die Tiere über Futtermangel und Gewaltexzesse klagen. Eindringlich wenden sie sich daher ans Publikum: Wer all das Leid und die Ungerechtigkeit sieht, muss doch etwas dagegen unternehmen.
Die Argumente und Appelle scheinen anfangs auch zu verfangen, zumindest stimmen etliche Zuseher in den revolutionären Chor ein und schmettern lauthals die Befreiungs-Hymne „Tiere Österreichs und Europas“.
Überhaupt steht die Macht des verführerisch verdrehten Wortes im Zentrum der Inszenierung. Denn auf süße, phantasievolle Kostüme und bunte Farben wird hier konsequent verzichtet (Bühne und Kostüme Nina Wronka). Alle Schauspieler tragen dasselbe monochrome Ensemble und verwenden einfache abstrakte Masken, um in ihre Figuren zu schlüpfen. Die Rollen der Schweine übernehmen sie wechselweise, nur Elisa Afie Agbaglah (als Mollie), Britta Bayer (Mathilda), Gero Nievelstein (Benjamin) und Gregor Schulz (Boxer) dürfen zumindest eine zentrale Figur exklusiv verkörpern. Der ständige, teils unmotiviert wirkende Rollentausch und das Verschwinden jeglicher Mimik hinter den Masken, macht es allerdings schwer, sich mit den Tieren zu identifizieren.
Voll auf die Gefühlsebene zielen hingegen die kurzen Videos, die immer wieder über den Bühnenhintergrund flimmern (Flora Hölzl). Schreckensbilder aus dem Schlachthaus wechseln sich hier ab mit Szenen von Straßenschlachten, gefälschten Nachrichtensendungen und sogar einem zynischen Imagefilm für die „Farm der Tiere“ mit ihrem 100-Prozent-Bio-Konzept. Dazu hämmern aggressive Gitarren von Metallica, Flogging Molly oder den unvermeidlichen Revolutions-Rockern Rage Against The Machine aus den Boxen.
So eindringlich viele Szenen gelungen sind und so sehr sich die Schauspieler auch bemühen, das jeweils verkörperte Tier mit kleinen Gesten zum Leben zu erwecken, so merkwürdig kalt lässt einen die Inszenierung, die doch so sehr zur Tat und zum Widerstand anregen will. Die distanzierende Wirkung des Verfremdungseffekts hat eben ihre gefährlichen Tücken. So bleibt ein engagiertes Diskursstück voller politischer Parolen und mit kurzen, aufrüttelnden Schreckmomenten, das jedenfalls nicht für Kinder geeignet ist und Erwachsenen (neben der Perversität des modernen Tierverwertungssystems) vor allem die perfiden Mechanismen der Machtergreifung und Machterhaltung vor Augen führt.