... dort wo du nicht bist...
SCHAUSPIELHAUS / HEDDA GABLER
25/11/16 Eine knappe kalte Abrechnung mit Täterinnen, Tätern und Opfern von Konvention und Herkommen: Das Drama „Hedda Gabler“ in einer gerafften, gerade eineinhalbstündigen Aufführung ohne Pause in der Regie von Charlotte Koppenhöfer überzeugt als Autopsie mit geschliffenem Seziermesser.
Von Heidemarie Klabacher
Ob es eine frische Leiche ist, die diese präzisen Chirurgenschnitte erdulden und sich coram publico ins Innerste schauen lassen muss, sei freilich dahin gestellt. Vielleicht befassen sich ja die Jugendlichen im pädagogischen Beleitprogramm mit solchen Fragen: Ist das „Bürgertum“ nicht schon seit Jahren und Jahrzehnten tot, tot und dreimal tot? Tot, wie seine Träger, die alte Jungfer, der Richter, der junge Wissenschaftler, die herzeigbare Gemahlin? Welche Gesellschaftsgefüge gibt es „heute“, in denen die polierte Oberfläche alles, das Individuum gar nichts zählt… Wäre spannend zu hören, was Jugendliche dazu sagen, die ja, so heißt es wenigstens, ihr Selbstbild vor allem via social media herstellen sollen.
Junge Frau heiratet also ohne Liebe im Hinblick auf reiche Versorgung, findet sich frustriert in bescheidenen finanziellen Verhältnissen wieder und wird aus verzweifelter Langeweile zur gemeingefährlichen Intrigantin: Das ist Hedda Gabler.
Leidet die arme Hedda nicht einfach an einem Luxusproblem, im Vergleich zu jungen Frauen von heute, die mit Doppelt- und Dreifachbelastung und ohne Anerkennung für ihre Arbeit an der Supermarktkassa und im Kinderzimmer sich „verwirklichen“ dürfen? Aktualität kann man dem Stück nicht nachsagen. Und Regisseurin Charlotte Koppenhöfer hat auch keine simple Aktualitäten an den Haaren oder sonstigen Regietheaterzöpfen herbeigezogen. Den Zwang, dem junge kluge Frauen einst ausgesetzt waren, in dem ihnen das „Dekorativsein“ in der Ehe als einzige Perspektive zugeschrieben wurde, lässt die präzise Regie wie einen gnadenlos gefrierenden Nebel spürbar, aber nicht „greifbar“ werden. Das macht gruseln.
Tatsächlich wirken die Leiden scheinbar rein „historischer“ Ibsen’scher Frauenfiguren wie Hedda Gabler in solch nüchterner Sichtweise ohnehin nicht wie aus dem „Museum“, sondern allemal gehaltvoller und spannender als jeglicher zeitgenössische Versuch einer dramatischen Auseinandersetzung mit der „Frauenfrage“. Tatsächlich liegt in der Figur der Hedda – und auch in der dämonisch lieblichen Umsetzung von Alexandra Sagurna in der Titelrolle – viel zeitlos Widersprüchliches. Vergleichbare Konstellationen und Motivationen wird es zu jeder Zeit in jeder Gesellschaft geben. Doch ein Ibsen treibt „Probleme“ wie Eifersucht, Gier, Verzweiflung (von „Liebe“ ist kaum die Rede) geradezu mit Wollust auf die Spitze. Dabei wollen sie alle nur „woanders“ sein, diese armen Kerle und Kerlinnen in den Ibsen’schen Tragödien. „Dort wo Du nicht bis, da ist das Glück…“
Und so treibt eine Verzweifelte wie Hedda den unwillkommenen Konkurrenten des ungeliebten Ehemanns zurück in den Alkoholismus und drückt ihm auch noch die Pistole in die Hand, mit der Aufforderung zum Abgang „in Schönheit“. Leider geht der versehentlich ausgelöste Schuss in den Unterleib. Das elegante Loch im Kopf bringt Hedda sich schließlich selber bei, als es keinen Ausweg mehr gibt aus ihrem tödlichen sexuell aufgeladenen Spiel mit Feuer und Frust.
Vielleicht hat sie ja auch mal ein wenig geliebt, den ungebärdigen Ejlert Løvborg, den Matthias Hinz im Schauspielhaus mit großer Ruhe gibt. Ein wenig affektiert und naiv, fein nuanciert dargestellt von Magnus Pflüger ist Jørgen Tesman, Heddas Ehemann. (Dass die verheiratete Titelheldin ihren Mädchennamen trägt ist beinah das Subversivste am Stück). Ute Hamm gibt die neugierige lüsterne Tante Jule, Christiane Warnecke die schwer durchschaubare Thea Elvstedt, die wissenschaftliche Mitarbeiterin und verzweifelte Geliebte des unbändigen Ejlert Løvborg, Olaf Salzer ist der erpresserische Richter. Zusammen bringen sie eine überzeugend geschlossene Ensembleleistung. Heimliche „Hauptfigur“ im „Studio“ des Schauspielhauses ist das Bühnenbild von Julie Weideli: ein abstraktes Gebilde geschmiedeten Gestänges, in dem man die Konturen von Türen, Nischen, Bücherborden, ja sogar Möbeln in der „Villa“ des jungen Paares erkennen kann, wenn man mag. Ein abweisender Raum, in dem man genauso kalt und unbequem liegt, wie man sich gebettet hat. Virtuos.