Märkte sollten Urlaub machen!
REPUBLIC / PROLETENPASSION
04/05/16 Wahrscheinlich wird die Angelegenheit den Künstlern, die da am Werk sind, selbst schon ein bisserl unheimlich: Seit sie Anfang des Vorjahres ihre Version der „Proletenpassion“ – mit dem Zusatz „2015ff“ wohlweislich – in Wien uraufgeführt haben, ist die Rechts-Realität noch einmal viele Schritte näher gerückt.
Von Reinhard Kriechbaum
„Wir wollen mehr Demokratie!“ - Mit geballter Faust klettert Gustav über die ersten Sitzreihen und schleudert den Satz heraus. Wer könnte sich der hymnischen Urkraft eines solchen Songs entziehen? Nun ist die „Proletenpassion 2015ff“ auf Einladung der ARGEkultur also im republic zu sehen. Das Original ist für Österreich ein gutes Stück (Jugend-)Kulturgeschichte.
Die Musik/Theaterproduktion der Politrock-Gruppe „Schmetterlinge“ war 1976 ein Auftrag der Wiener Festwochen. Die Besetzung des Uraufführungsortes, des St. Marxer Schlachthofs, war die Initialzündung für ein politikbewegtes, vorwiegend studentisches Publikum, geboren unmittelbar aus der mitreißenden Kraft der Musik und der politischen Botschaft der „Proletenpassion“. Es galt schon damals, was „Theater heute“ über die Neufassung im Jänner 2015 schrieb: Sie wirke „auf einmal wieder so mitreißend, dass man am liebsten gleich eine Revolution anzetteln würde.“
Leider nein. Nicht nur in Salzburg fehlt dafür der Revolutionsgeist. Es ist ein wohliges Gefühl, das Wort „Revolution“ in riesigen Buchstaben aus Pappkartonschachteln im Bühnenrund zu entdecken und am Ende wieder aufgebaut zu finden. Da gibt’s augenblicklich Standing ovations eines Publikums mit absoluter Achtundsechziger-Mehrheit. Ach, waren wir doch Kerle! Und gut: Kein Toupet ist verrutscht, auch wenn die roten Fahnen über die Scheitel des Publikums streiften.
Fein und mutig, dass die Text- und Musik-Neufasser beherzt eingegriffen haben in Text und Musik. Die Südamerika-Revolutions-Zeitgeschichte ist rausgeflogen, und dafür der Neoliberalismus in dräuender Wucht hinein gekommen. Auf unsere Weltwirtschaftswirklichkeit wären die „Schmetterlinge“ in der Kreisky-Ära in Fieberträumen nicht gekommen. „Der Markt“ darf sich jetzt selbst zu Wort melden und ein Schnoferl ziehen, wie schlecht man ihn behandelt. Ihn, der eigentlich nach seinem Zusammenbruch 2008 eher mit Psychotherapie aufzupäppeln wäre. Sogar Selbstironie (oder Mut der Verzweiflung?) klingt jetzt an.
Die Schöpfer der originalen „Proletenpassion“ waren noch fest auf der Brecht-Schiene unterwegs, Distanz zum eigenen Geschichtsbild war ihnen eher fremd.
Deshalb erleben wir jetzt eine aufregendere, mitreißendere, aber auch deutlich bedrückendere „Proletenpassion“. Eine, die uns so wunderbar unterhält und uns zugleich Gänsehaut macht, weil wir im Gegensatz zu den „Schmetterlingen“ nicht eine eigentlich harmlose, satte Wiederaufbau-Spießbürgergeneration als Feindbild haben, sondern echte Rechte. Eine Insel ganz ohne Musik bildet die lange Rede eines bulgarischen Kommunisten, gehalten 1935: Kalt läuft es einem den Rücken hinunter, wie das schleichende Aushöhlen demokratischer Rechte und die Argmentation auf populistischer Basis geschildert sind. Das alles könnte Van der Bellen heute Hofer an den Kopf werfen.
Die Musik, die sich schon im Original ob ihrer Pointiertheit auszeichnet (kaum eine Nummer ist länger als zwei Minuten) ist knackig geblieben, im Klangbild aufgefrischt. Die Texte sind, wo alt, mit Dezenz entstaubt. „Tot oder lebendig / wir sind nicht mehr zu schlagen / … / das war nur eine Stadt / doch es wird nicht die letzte Stadt sein“: Brecht'scher Lehrstück-Tonfall darf und muss da schon sein.
Gustav (Eva Jantschitsch) und ihr Komponistenkollege Knarf Rellöm sind in erster Reihe dabei, aber es hat ja jede und jeder in diesem ambitionierten Team (Claudia Kottal, Tim Breyvogel, Bernhard Dechant, Elise Mory, Didi Kern, Imre Lichtenberger Bozoki, Oliver Stotz, Thomas Butteweg) sowohl darstellerische als auch musikalische Aufgaben.
Zwei Stunden und zwanzig Minuten vergehen, ohne dass man auch nur ein Mal auf die Uhr schaut. Bei aller plakativer Geste hat Regisseurin Christine Eder diese Geschichtsnummern, die unmittelbar in die dumpf-drückende Gegenwart führen, mit leichter Hand arrangiert. Der tollkühn-grellbunte Musikmix zieht hinein in eine ultra-lange, aber eben eigenen Sog entwickelnde Aufführung. Unterhaltung mit nicht wenig Gänsehaut-Faktor: „Die Situation kennen wir schon. / Was ist dran neu? / Die Partei!“ Glückliche russische Revolutionäre, das war noch eine linke Partei...