Bis das letzte Licht ausgeht
ARGEkultur / ANTHROPOZÄN
15/12/15 Glaubt man den strahlenden Polit-Gesichtern beim soeben zu Ende gegangenen UN-Klimagipfel in Paris, soll ein langer Wunschzettel an den Geist der zukünftigen Weihnacht die Menschheit davor bewahren, ihren Heimatplaneten sehenden Auges zugrunde zu richten.
Von Christoph Pichler
Weit düsterer fällt der Blick in die Zukunft beim Tanzstück „Anthropozän“ aus, das am Montag (14.12.) in der ARGEkultur seine Uraufführung feierte. Hier geht am Ende auch das letzte Licht auf Erden aus.
Als „Anthropozän“ bezeichnen kritische Wissenschaftler das aktuelle Erdzeitalter, in dem der Mensch zum bestimmenden Faktor der Lebensbedingungen auf unserem Planeten geworden ist. Demnach ist die angenehme Stabilität des zwischeneiszeitlichen Holozän dank unserer Überproduktion an heißer Luft bereits wieder Geschichte und die Menschheit taumelt unter Volldampf einer heißen Zukunft entgegen. Wie es so weit kommen konnte und wo das alles hinführen könnte, stellen die „Hungry Sharks“ nun in ihrem neuen urbanen Tanzstück nach.
Es herrscht noch völlige Dunkelheit, wenn der Mensch erstmals die (Welt-)Bühne betritt. In einer kleinen Gruppe durchwandern unsere Vorfahren ihren Lebensraum, der nur sporadisch durch Blitze aus der Taschenlampe erhellt wird. Hoffnung auf mehr Durchblick weckt da ein kleines Feuer, um das sich die Urfamilie ebenso ängstlich wie fasziniert schart und das sie bald zu beherrschen und konservieren lernt. Doch ebenso rasch weckt der neue Energiespender auch Begehrlichkeiten und so bricht der erste, bei weitem nicht letzte Kampf um knappe Ressourcen aus.
Als kunstvoll choreographierte chaotische Gerangel sind diese Kriege im Kleinformat stets ein besonderes Highlight. Dazwischen locken, poppen, breaken und shaken sich die „Hungry Sharks“ quer durch die Stilpalette des Urbanen Tanzes und die Entwicklungsgeschichte des Menschen. So verfolgen wir unsere Ahnen bei der Jagd und Aussaat, aber auch beim Griff nach den Sternen, der sich bald als fatal herausstellen soll. Zunehmend bricht die Gruppe auseinander und die einstigen Gefährten verschanzen sich in ihren eigenen kleinen Lebenswelten. Doch die vermeintliche Idylle hält nicht lange an: Grenzen werden verschoben, Räume und Ressourcen okkupiert und schon steht da eine lange Schlange an Flüchtlingen zum Einwanderungscasting bereit. Wie lange das alles wohl gutgeht?
Choreograph Valentin Alfery hat für „Anthropozän“ eine bunt gemischte Tanzcrew aus ganz Österreich um sich geschart. Gemeinsam mit Farah Deen, Patrick Gutensohn, Franz Günter Moser-Kindler, Moritz Steinwender, Tarek Tillian und Manuel Pölzl entwirft er eine Menschheitsgeschichte, die von der dunklen Vergangenheit in eine finstere Zukunft führt. Dank der ausgeklügelten Lichtchoreographie, die auf mobile Quellen wie Leuchtstoffröhren, Schreibtischlampen oder Lichterketten setzt (Joe Albrecht), gibt es allerdings dazwischen auch genug lichte Momente, um mit spektakulären Szenen und betörenden Bildern ein wenig Hoffnung zu wahren. So eine kluge, kreative Spezies kann doch nicht einfach ungebremst auf ihr eigenes Verderben zusteuern. Allerdings werden wir nicht von Tänzern geführt, die naturgemäß lieber Bewegung in die Sache bringen als heiße Luft produzieren.