Yes I can … vielleicht schon morgen früh
LANDESTHEATER / ANNIE
11/12/15 Es gibt Regeln, an die sich Theaterleute halten sollten: Nie mit Kindern gemeinsam auf die Bühne gehen. Und mit einem Hund schon gar nicht! Die Herzen der Zuschauer fliegen in eine eindeutige Richtung. Das Musical „Annie“ lebt aber genau davon: von der elfjährigen Annie, sechs weiteren Waisenkindern und einem Streuner.
Von Reinhard Kriechbaum
Die Leiterin des Kinderheims, die an der Schnapsflasche hängt wie Babys am Schnuller, tut zwar alles, um den Kindern die Freude am Leben zu vergällen – aber die lassen sich nicht klein kriegen. Auch ein nächtlicher Bodenwisch-Einsatz wird zur lustigen Nummer, bei der sie sich ordentlich lustig machen über Miss Hannigan. Franziska Becker spielt die Schnapsdrossel, die hinlänglich damit beschäftigt ist, Facon zu bewahren. Für ernsthafte pädagogische Maßnahmen bleiben glücklicherweise keine Ressourcen.
Dass die siebenköpfige Mädchenrunde ihren Lebensmut nicht verliert, dafür sorgt Annie. Der Rotschopf ist der Optimismus in Person: „Doch einmal kommt die Zeit, vielleicht schon morgen früh“, singt sie unverdrossen. Das wirkt ansteckend auf die anderen. Aber wirklich zu türmen getraut sich doch nur Annie. Die Nacht unter New Yorker Sandlern – die Story spielt in der Zeit der Weltwirtschaftskrise, Anfang der dreißiger Jahre – bringt ihr wenigstens die Freundschaft eines Hundes. Dieser wird nicht eingefangen, aber Annie landet flugs wieder im Kinderheim.
Glück der Tüchtigen: Ein Superreicher will über Weihnachten seine Seele erleichtern und ein Waisenkind aufnehmen. Die Wahl fällt auf Annie. Die vor Temperament und Zuversicht sprühende junge Dame steckt nach und nach alle an mit ihrer positiven Sicht auf die Dinge, sogar den Präsidenten der Vereinigten Staaten. „Yes we can“, sagt der emphatisch. Das haben wir doch schon mal wo gehört.
„Annie“, ein Stück von dem hierzulande eher weniger bekannten Musical- und Filmmusikkomponisten Charles Strouse (Jahrgang 1928) ist in der Neuen Welt heimisch.
Das von einer populären Cartoon-Serie der Zwischenkriegszeit inspirierte Musical brachte es ab 1977 auf dem Broadway zu 2377 Vorstellungen en suite, es wurde mit Tony Awards überschüttet und mehrmals verfilmt. Es zählt in Amerika zum Kernbestand des Genres.
Kim Duddy, die am Salzburger Landestheater schon die Choreographien zu „The Sound of Music“ und „Im weißen Rössl“ gemacht hat, führte Regie. Eine sichere Sache, wenn man sieben so tolle Kinder hat. Alle drei Hauptdarstellerinnen – in der Premiere war Clara Stein zu erleben – sind Schülerinnen im Musischen Gymnasium. Maria Strassl und Lara Weilharter sind die weiteren „Annies“ der Aufführungsserie.
Die Girlgruppe rekrutiert sich aus Mädchen aus dem Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor. Alle Achtung, wie viel ungestüme Spielfreude sie alle freisetzen. Da gehen die tollsten Tanznummern, ohne dass das Singen leidet. Die Natürlichkeit dieser Gruppe ist einfach umwerfend.
Freilich, Erwachsene spielen auch mit, sogar der Musical-Promi Uwe Kröger. Er ist Oliver Warbrucks, der viel beschäftigte reiche Industrielle, der rasch seine Lektion lernt von Annie: Lockerheit und Optimismus.Hanna Kastner ist die Privatsekretärin in dem Haus, in dem es vor dienstbaren Geistern nur so wimmelt. Da ist also stets genug Personnage da für Tanznummern, mit denen die Regisseurin nicht geizt. Eine Szene spielt im Weißen Haus, und auch die endet in schmissigem Tanz. Schau, schau ein Dunkelhäutiger im Oval Office!
Eliott Carlton Hines, ein Mitglied des Gérard Mortier Opernstudios, singt und spielt den Roosevelt. Marco Dott liefert als Rundfunk-Spielmacher in einer Zahnpasta-Show g'spaßige Szenen. Ur-böse Leute gibt es natürlich auch: Rooster Hannigan (Sascha Oskar Weis) und Lily Hilton (Anna Carina Buchegger) geben sich als Annies Eltern aus. Sie können das gute Ende natürlich nicht gefährden.
Die Bläser des Mozarteumorchesters sind jazzig gefordert. Die Musik zeichnet ein durchaus nostalgischer Big-Band-Sound aus. Peter Ewald hat ihn als Dirigent stilistisch gut drauf. Der Kontakt mit der Bühne ist gut - auch wenn es dort noch so turbulent zu geht. Vielleicht könnte man die Microport-Verstärkung ein wenig zurücknehmen. Nicht alle diesseits der Rampe sind schwerhörig.
Einlassen muss man sich auf die ur-amerikanische Heile-Welt-Ideologie eines solchen Musicals. Es ist eine Weihnachtsgeschichte, wie man sie von Florida bis Kalifornien goutiert. Die Regisseurin sorgt dafür, dass der Kitsch-Faktor nicht überhand nimmt. Dass die Ohrwürmer sich drängen, ohne dass man wirklich Nachhaltiges im Gedächtnis behielte – das festzuhalten ist schon fast peinlich. Wir wollen ja keine Spielverderber sein. Auf ihre Art ist „Annie“ eine supergute, der Gattung mehr als gerecht werdende Aufführung.