Langsam träumt sich’s am Allerbesten
LANDESTHEATER / LA SONNAMBULA
23/02/15 Die Premiere ist vorbei, aber diese „Sonnambula“ will man sich gleich noch einmal geben. Nochmal anhören, aber auch einfach Chor-Schauen. Denn der nimmt in dieser Aufführung von Vincenzo Bellinis Oper eine Hauptrolle ein.
Von Reinhard Kriechbaum
Allerleibuntes Volk in frischer Sommer-Kostümierung ist versammelt und kommentiert wortreich die Verlobung zwischen Amina und Elvino. Aber dann, nachdem die Braut im Hotelzimmer des Jung-Grafen Rodolfo entdeckt wird, gerät diese Gruppe ungebetener Beobachter ordentlich in Rage ob der vermeintlichen Untreue in der Nacht vor der kirchlichen Hochzeit. Da drängt man Amina (dass sie eine Schlafwandlerin ist, ahnt ja noch keiner) in ein Rollwagerl, wie es in Hotels eben Koffertransport herumsteht. Wie am Pranger wird die Arme vorgeführt.
Aber dieser Chor, den die Regisseurin Agnessa Nefjodov (die am Salzburger Landestheater schon Oper wie auch Schauspiel inszeniert hat) mit liebevoller Individuenzeichnung anführt, ist gerecht: Im Libretto schwenkt das Bühnenvolk ja gleich ins nächste Brautlob, wenn der vermeintlich betrogene Elvino kurzerhand eine andere vor den Traualtar führen will. Hier aber zeigen die Leute, dass ihnen dieses (vor)eilige Frau-wechsle-Dich-Spiel absolut suspekt ist…
Eine überlegte, genau gezeichnete Inszenierung also, mit einem gesunden Sinn für Humor, aber auch mit untrüglichem Feeling dafür, wo Schluss sein muss mit dem Klamauk. Im „Villaggio“, das weniger Dörfchen als Ferienressort ist, herrscht eine Stimmung, die der Gattung „Semiseria“ entspricht: Nicht nur Amina hortet die Veilchen, die sie in besseren Zeiten vom Lover bekommen hat, im Gurkenglas wie in einem Herbarium. Ob sie auch bei den anderen Damen verwelkt sind, lässt sich aus der siebenten Reihe schwer ausmachen.
Da muss also die Musik her zum Illustrieren. Lorenzo Coladonato heißt der italienische Gastdirigent diese Produktion. Er hat Bellini stilistisch ganz toll drauf, drosselt die Tempi, so dass jeder vokale Zierrat seinen Freiraum bekommt. Es geht dem Dirigenten, der jede Phrase mit seinen Händen so anschaulich vor-modelliert, natürlich auch um die Bravour des Singens. Vor allem aber stellt er die romantische Anmutung der Musik heraus, die entscheidenden Unterschiede zur (fast zeitgleichen) Rossini-Schnurre. Romantische Oper in durch und durch italienischen Idiom, wenn man es so beschreiben will.
Zu so organischen, die Atembögen mittragenden Tempi lässt sich wunderbar singen und auch spielen: Die Holzbläser führen feine, ruhige, ausgehorchte Dialoge mit den Vokalisten, und nicht ein einziges Mal denkt man an diesem Abend an die dem Streicherklang so wenig förderliche Akustik des Hauses. Ein schöner Abend mithin auch für das Mozarteumorchester.
Die Sänger wirken gerade für diese innige Slow-Motion optimal gecastet. Rund und weich lässt Lavinia Bini ihren Sopran strömen, meist mühelos führt sie ihre Stimme in die exponierten Höhen. Mit gustiöser Schwerelosigkeit kommen die Fiorituren. Von ganz anderem Schrot und Korn ist Pavel Kolgatin: Der Russe ist ein italienischer Tenor par excellence, kernig, leuchtkräftig, stets präsent und selbstbewusst. Gerade aus dieser Spannung gewinnt die Regisseurin einen entscheidenden Ansatz der Inszenierung: Wie ein scheues Reh wird Amina eingeführt. Die Rolle im gesellschaftlichen Mittelpunkt behagt ihr sichtlich nicht, und eigentlich tut sie einem so recht leid, wenn der Bräutigam, der zur eigenen Verlobungsfeier zu spät kommt, erst mal Honneurs austeilt und sich erst dann gnädig seiner Braut zuwendet. Wenn die Erregung groß ist, nachdem die Schlafwandlerin im falschen Zimmer dingfest gemacht wird, bleibt die Musik auffallend leise. Mehr Enttäuschung schwingt mit als nach außen gekehrte Emotion. Sehr sympathisch.
Könnte es sein, dass das Unterbewusstsein voll zuschlägt, wenn Amina ausgerechnet Richtung Graf schlafwandelt? Der ist wohl kein Frauenverächter, aber Alexey Birkus lässt in seine Rollengestaltung viel Wärme einfließen. Hanna Bradbury ist die Bösewichtin Lisa, die der Titelfigur in punkto geläufiger Verzierungskunst kaum nachsteht. Von der Hotelrezeption aus bandelt Lisa erst telefonisch mit dem Grafen an, aber glücklicherweise hatten schon Festnetz-Oldies lange Kabel und man war dann wenigstens auf Kurzstrecke „mobil“.
Gast am Haus ist Anna Maria Dur als Brautmutter Teresa, eine Altistin, die Energie und Bestimmtheit einbringt in die Gestaltung dieser gar nicht nebensächlichen Rolle. Ugur Okay ist Alessio (der als Lisas unglücklicher Liebhaber am Ende leer ausgeht). Min-Yong Kang wechselt aus dem Chor zur kleinen Solorolle des Notars.
Der Chor: Er spielt nicht nur mit merklicher Lust, er singt diesmal auch bemerkenswert präzis und tonschön (Einstudierung: Stefan Müller). Das Kollektiv fühlt sich sichtlich wohl in seiner von der Regie so sorgfältig und liebevoll bedachten Rolle. Übrigens: Nicht immer sind diese Leute glücklich als Dauer-Zaungäste. Wenn der Graf als Playboy überführt wird, schauen alle verlegen ganz schnell möglichst weit weg, eine Dame angelt sich sogar ein Nähzeug. Und wie der Chor erst die schlafwandelnde Amina mit eilends herbeigeschobenen Möbelstücken und Sitzgelegenheiten vor dem Absturz rettet, köstlich! Viele nette Details stecken in dieser Aufführung, die zwischen halb-ernst und halb-lustig pendelt.